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Die Rache der Kinder

Die Rache der Kinder

Titel: Die Rache der Kinder
Autoren: Hilary Norman
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betraf, war sie bestenfalls die Fünft- oder Sechstbeste, je nachdem, ob seine Pfleger und Lehrer ihm Kohl oder Karotten zu essen gegeben oder ihm Landkarten zum Lernen vorgelegt hatten. Sam hasste grünes und orangefarbenes Gemüse, und Landkarten machten ihn stets nervös. Wenn Laurie an einem Karten- oder Gemüsetag kam, wurde sie längst nicht so leidenschaftlich empfangen wie an gewöhnlichen Tagen; doch wenn sie Sam dann in seine warmen, leicht schräg stehenden Augen schaute, sah sie einen Hauch von Verzweiflung darin, der mehr von Erleichterung kündete als von Liebe.
    Nicht dass es Sam im Rudolf-Mann-House, wo er lebte und erzogen wurde, schlecht ergangen wäre. Die Pflege war hervorragend und die Schule so gut, wie sie nur sein konnte. Bezahlt wurde das Ganze von Sams Großeltern, Peter und Michele Moon. Für ihre Freunde waren Pete und Shelly das Salz der Erde. Pete hatte sein Geld mit einer Tankstellenkette in Essex verdient, aber es war nun schon so lange her, dass die Moons zu Geld gekommen waren, dass nur noch wenige Leute sich an die Zeit erinnerten, als sie noch nicht in dem schönen roten Ziegelhaus an der Henley-Wallingford Road zwischen Nuffield und Nettlebed gewohnt hatten, von wo aus es weniger als eine Meile bis zu ihrem Gestüt war.
    Außerdem waren Pete und Shelly Philanthropen. Für wohltätige Zwecke griffen sie stets gern in die Tasche. Sie waren ganz allgemein gute Nachbarn, die ihre Tiere liebten und die wunderschöne Landschaft zu schätzen wussten, in der sie lebten.
    »Wir wissen, wie viel Glück wir hatten«, hatte Pete schon viele Male gesagt.
    Jeder stimmte dem zu. Sie waren tatsächlich ein glückliches, gut aussehendes Paar mit einem klugen Sohn, Andrew, der mit Sara verheiratet war, einem einheimischen Mädchen, das als Buchhalterin arbeitete. Sie lebten mit ihren Kindern drüben in Moulsford. Auch Andrew war in der Pferdezucht tätig – er hatte mehrere vielversprechende Rennpferde gezüchtet –, und Sara führte die Bücher der Moons. Und dann war da Laurie, ihre hübsche blonde Tochter, die noch immer zuhause lebte und inzwischen im elterlichen Gestüt arbeitete, obwohl sie Kunst studiert hatte. Und den Einheimischen zufolge, deren Häuser sie kostenlos bemalt hatte, war sie eine passable Künstlerin.
    Vor ein paar Jahren war Laurie eine Zeitlang zu Verwandten nach Frankreich gegangen, um dort zu malen und »ihr Ding zu machen«, wie Pete und Shelly es ausgedrückt hatten. Das aber hatte Gerüchte zur Folge gehabt. Die Leute hatten geglaubt, Laurie sei schwanger oder hätte sich mit einem Kerl eingelassen, den die Moons nicht billigten – und wenn es tatsächlich so war, musste es gute Gründe dafür geben, denn es gab keine toleranteren und besseren Eltern als Pete und Shelly Moon.
    »Du musst wissen, wann du besiegt bist«, hatte Peter damals zu Laurie gesagt.
    Es war an einem Sonntag, als sie am Frühstückstisch saßen. Ihre Eltern schauten verlegen, aber entschlossen drein. Der Bubikopf ihrer Mutter glänzte wie eh und je, doch ihren Augen und dem Mund war die Anspannung deutlich anzusehen,während ihr Vater sich die randlose Brille auf die Nase gezogen hatte und Laurie mit seinen braunen Augen fixierte.
    »Es gibt da ein paar Dinge, mit denen man nicht einfach so zurechtkommen kann«, pflichtete Shelly Moon ihrem Ehemann bei.
    Sie stimmte ihm meistens zu – nicht weil sie ein Fußabtreter gewesen wäre, sondern weil er ein kluger, guter Mann war, der seine Familie geschickt durchs Leben lenkte.
    »Deshalb machen wir das«, fuhr Pete fort. »Weil wir dich sehr lieben und nur das Beste für dich wollen.«
    »Wir haben immer nur das Beste für dich gewollt, Baby«, fügte Shelly hinzu. »Das weißt du.«
    Baby.
    Laurie hatte ihre Mutter diesen Wegwerfkosenamen bestimmt tausend Mal sagen hören, doch als sie ihn ausgerechnet jetzt vorgesetzt bekam, drehte sich ihr der Magen um.
    Wegwerfkosename.
    Baby.
    Laurie hatte gegen ihre Eltern gekämpft. Sie hatte getobt und gefleht, bis ihre Kehle sich wie Sandpapier angefühlt hatte. Schließlich war sie einfach hinausgegangen, weil sie keine Kraft mehr zum Kämpfen hatte.
    Keine Entschuldigung.
    Zu schwach.
    Das trifft es schon eher.
    Zu armselig.
    Das trifft es noch besser.
    Eine armselige Entschuldigung von einer Frau.
    Eine zukünftige Mutter.
    Von einem Baby. Ihrem eigenen Baby. Kaum hatte sie sich von dem Schock erholt, schwanger zu sein, hatte sie das Ungeborene schon in ihr Herz geschlossen. Laurie hatte kaum glauben
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