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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel
Autoren: Javier Sierra
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identifizieren, obwohl er Mimik und Gestik des Gefangenen genau beobachtete– zitterte am ganzen Leib. Er beugte sich vor und hielt seine gefesselten Hände in die Kamera. Mehrere seiner Finger waren schwarz angelaufen, vielleicht erfroren. Sie schienen einen kleinen Gegenstand zu umklammern. Es war ein Anhänger, der aufgrund seiner Lichtundurchlässigkeit und seiner unregelmäßigen Form nicht sonderlich attraktiv war, doch Nick Allen riss bei seinem Anblick die Augen weit auf.
    » Wenn Sie mich retten wollen, müssen Sie die Bedingungen erfüllen«, fuhr der Gefangene mit dumpfer Stimme fort. » Mein Leben… Mein Leben gegen den Abzug der NATO -Truppen aus einem Umkreis von zweihundert Kilometern um Agri Daghi.«
    » Agri Daghi? Soll das alles sein? Gibt es keine Lösegeldforderung?«, fragte Allen seinen Vorgesetzten.
    Allen hörte, wie zwei der Männer hinter dem Gefangenen wieder laut auf Kurdisch durcheinanderschrien. Sie wirkten äußerst wütend. Einer der beiden Männer zückte sogar seinen Dolch und schwang ihn vor dem Hals des Gefangenen, als wollte er ihm auf der Stelle die Kehle durchschneiden.
    » Und jetzt sehen Sie ganz genau hin«, flüsterte Owen.
    » Sagen Sie Ihren Namen!«
    Diese Aufforderung des Kameramannes überraschte Allen keineswegs. Er hatte derartige Szenen schon viel zu oft betrachtet und wusste, was jetzt kommen würde: Der Gefangene würde gezwungen, seine Einheit, seinen Dienstgrad und seine exakte Herkunft preiszugeben, damit für den Betrachter keinerlei Zweifel hinsichtlich seiner Identität bestand. Sollte die Geisel in dem Moment nicht mehr interessant sein, überließ man sie ihren Tränen und ihrer Verzweiflung, während sie sich von ihrer Familie verabschiedete. Gleich darauf würde man sie zwingen, den Kopf zu senken, um sie zu enthaupten. Die Gefangenen, die in ihrem Todeskampf durch einen Gnadenschuss erlöst wurden, hatten Glück. Die übrigen stöhnten mit offenem Mund, bis sie irgendwann verbluteten.
    Aber das Leben dieses Mannes schien einen großen Wert zu haben. Michael Owen hätte ihn sonst nicht herbeizitiert. Nick Allen war ein Experte für Spezialaufgaben. In seinem Lebenslauf standen Befreiungsaktionen in Libyen, Usbekistan und Armenien, und er gehörte der Einheit der NSA an, die den höchsten Geheimhaltungsgrad besaß. War der Wunsch seines Vorgesetzten also, dass er den Mann an seinen Arbeitsplatz in Owens Büro zurückbrachte?
    Im Film erklangen wieder Stimmen.
    » Haben Sie mich nicht verstanden?«, knurrte der Kameramann. » Sagen Sie Ihren Namen!«
    Der Gefangene blickte auf und ließ dabei hässliche, lilafarbene Augenringe und eine tief zerfurchte Stirn erkennen.
    » Mein Name ist Martin Faber. Ich bin Wissenschaftler…«
    Der allmächtige Michael Owen hielt den Film an dieser Stelle an. Wie nicht anders erwartet, war Allen vor Schreck wie gelähmt.
    » Verstehen Sie jetzt, warum ich es so eilig hatte, Colonel Allen?«
    » Martin Faber!«, murmelte der Agent. Er konnte es immer noch nicht fassen. » Aber natürlich!«
    » Das ist noch nicht alles.«
    Owen hielt die Fernbedienung in die Luft und markierte den Mann auf dem Standbild mit einem Kreis.
    » Haben Sie gesehen, was er in der Hand hält?«
    » Ist das…?« Der Oberst machte eine äußerst besorgte Miene. » Ist es das, wofür ich es halte, Sir?«
    » Exakt.«
    Nick Allen verzog skeptisch den Mund. Er trat so nah wie möglich an den Bildschirm und starrte konzentriert auf eine bestimmte Stelle.
    » Wenn ich mich nicht irre, Sir, ist das nur einer der Steine, die wir benötigen.«
    Ein bösartiges Funkeln drang aus den Augen des Mannes, der die Geschicke des mächtigsten Geheimdienstes des Planeten lenkte.
    » Sie haben recht, Colonel«, sagte Owen lächelnd. » Die gute Nachricht ist, dass der Videoclip uns unbeabsichtigt auch den Aufbewahrungsort des fehlenden anderen Steins enthüllt.«
    » Wirklich?«
    » Bitte konzentrieren Sie sich jetzt.«
    Michael Owen ließ den Film weiterlaufen. Wie durch Zauberhand setzte sich die ausgemergelte Gestalt von Martin Faber wieder in Bewegung. Der Blick aus seinen blauen Augen wirkte noch wässriger als zuvor, so als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen.
    » Julia«, flüsterte die Geisel nun auf Spanisch. » Tal vez no volvamos a vernos…«
    » Hat er gerade Julia gesagt?«
    Als er den zufriedenen Gesichtsausdruck seines fähigsten Mannes sah, lächelte der Direktor der NSA . Die Videoaufnahme war noch nicht zu Ende abgespielt, als der Auftrag,
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