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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel
Autoren: Javier Sierra
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Kathedrale aufzuhalten?«
    Der Dieb– denn schließlich und endlich schien der Mann ein Dieb zu sein– hielt inne, ohne sich durch meine Anwesenheit stören zu lassen. Ich hörte, wie er in aller Ruhe den Reißverschluss einer Plastiktasche zuzog, so als würde es ihn nicht im Geringsten irritieren, dass er ertappt worden war. Mehr noch: Wenn ich mir die Situation jetzt vor Augen führe, scheint mir, dass er sich dort bloß geduckt hatte, um auf mich zu warten. Leider machte die schwache Beleuchtung es nicht einfacher, ihn zu erkennen. Ich vermutete, dass der Mann ein dunkles Trikot unter dem Habit trug und dass er kräftig gebaut war. Dann sagte er etwas in einer Sprache, die ich nicht zuordnen konnte, und trat einen Schritt vor, während er eine Frage flüsterte, die mich verunsicherte:
    » Ul-á Librez?«
    » Wie bitte?«
    Der vorgebliche Mönch stotterte, vielleicht überlegte er, wie er seine Frage deutlicher stellen könne.
    » Ul-ia Alibrez?«
    Angesichts meiner perplexen Miene wiederholte er noch einmal seine Worte, die plötzlich ebenso verständlich wie beunruhigend klangen:
    » Ju-lia Álvarez?… Sind… Sie?«

2
    Draußen vor der Kathedrale regnete es. Es war der Orballo, dieser für Nordspanien so typische Nieselregen, der nach und nach alles durchdringt, bis es vollständig durchnässt ist. Auch die gepflasterte Plaza del Obradoiro war ihm schutzlos ausgesetzt, und inzwischen war der Zeitpunkt gekommen, an dem sie kein Wasser mehr aufnehmen konnte. Die elegante bordeauxrote Limousine, die den bekanntesten Platz von ganz Galicien überquerte und direkt vor dem Eingang zum Hostal de los Reyes Católicos zum Stehen kam, ließ das Wasser der Pfützen unvermeidlich gegen die Mauern des Parador-Hotels spritzen.
    Der Dienst habende Rezeptionist blickte im selben Moment durch das Fenster und schaltete daraufhin den Fernseher aus. Dies waren seine letzten Gäste. Als er eilig vor die Tür trat, schlugen die Glocken der Kathedrale gerade Mitternacht. Der Fahrer des Mercedes schaltete Motor und Scheinwerfer aus, überprüfte die Uhrzeit seiner Armbanduhr, als wäre dies Teil eines Rituals, und sagte:
    » Liebling, wir sind da. Wir sind in Compostela.«
    Die Frau auf dem Beifahrersitz löste den Sicherheitsgurt und öffnete die Wagentür. Erleichtert sah sie, dass ihnen der Hotelangestellte mit einem riesigen schwarzen Regenschirm entgegenkam.
    » Guten Abend, die Herrschaften«, begrüßte der Rezeptionist sie in perfektem Englisch. Der dumpfe Geruch des durchnässten Bodens drang in das makellose Innere des Mietwagens. » Man hatte uns angekündigt, dass Sie später kommen würden.«
    » Hervorragend.«
    » Ich werde Sie ins Hotel begleiten. Ihr Wagen wird geparkt und Ihr Gepäck so bald wie möglich auf das Zimmer gebracht«, sagte der Rezeptionist mit einem Lächeln. » In der Suite steht Obst für Sie bereit. Die Küche ist schon geschlossen.«
    Der Gast blickte über die menschenleere Plaza del Obradoiro.
    Er schätzte die Atmosphäre, die die Steine auf diesem Platz hervorriefen. Er fand es unglaublich, dass die Kathedrale mit ihrer Barockfassade, das Hostal de los Reyes Católicos aus dem 15 . Jahrhundert und der neoklassizistische Rajoy-Palast an diesem Ort so mühelos zusammenpassten.
    » Sagen Sie«, flüsterte er, als er dem Hotelangestellten die Schlüssel für den Mercedes und einen Zehn-Euro-Schein übergab, » ist die Restaurierung des Pórtico de la Gloria immer noch nicht abgeschlossen?«
    Der Mann blickte flüchtig zur Kathedrale. Ihn ärgerte es maßlos, dass die Gerüste die Eingangshalle dermaßen verschandelten und kultivierte Touristen wie diese Gäste verscheuchten.
    » Ich fürchte, nein, mein Herr«, gab er seufzend zur Antwort. » In der Presse heißt es, dass sich nicht einmal die Fachleute über die Restaurierung der Kathedrale einig sind. Wir haben bestimmt noch längere Zeit Bauarbeiten.«
    » Meinen Sie wirklich?« Der Gast schüttelte ungläubig den Kopf. » Aber warum arbeiten sie dann rund um die Uhr daran?«
    Der Mann hatte einen flackernden, orangefarbenen Lichtschein hinter den riesigen Fenstern bemerkt, die sich über dem Haupteingang der Kathedrale unter der Statue des Pilgerapostels befanden.
    Der Rezeptionist erblasste.
    Diese Lichter passten nicht zu den Bauarbeiten. Sie zuckten und verströmten einen kräftigen Schimmer, der nichts Gutes verhieß. Am besten, er benachrichtigte die Polizei. Und zwar sofort.

3
    » Julia Ál-varez?«
    Ich benötigte eine Weile, bis ich
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