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Die Prophezeiung des Adlers

Die Prophezeiung des Adlers

Titel: Die Prophezeiung des Adlers
Autoren: Simon Scarrow
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Lederriemen zu schnüren.
    »Fertig machen?« Macro wandte sich ihm zu. »Wozu denn das?«
    »Hast du es vergessen?«
    »Vergessen? Was habe ich vergessen?«
    »Unseren Termin im Palast. Ich habe dir gestern Nacht davon erzählt, als ich dich in dieser Taverne gefunden habe.«
    Macro versuchte mit gerunzelter Stirn, die Einzelheiten des Saufgelages vom vergangenen Abend zu rekonstruieren. »In welcher denn?«
    »Im Hain des Dionysos.« Cato sprach geduldig. »Du hast mit einigen Veteranen aus der Zehnten gebechert, und ich bin dazugekommen und habe dir gesagt, dass ich ein Vorstellungsgespräch bei dem Prokurator arrangieren konnte, der für die Abkommandierung der Legionäre zuständig ist. Zur dritten Stunde. Uns bleibt also nicht viel Zeit, zu frühstücken, uns zu waschen und unsere Ausrüstung anzulegen, bevor wir uns zum Palast aufmachen müssen. Heute findet im Circus Maximus ein Wagenrennen statt; wir müssen früh aufbrechen, wenn wir den Menschenmassen zuvorkommen wollen. Du könntest etwas zu essen gebrauchen. Etwas, das deinen Magen beruhigt.«
    »Schlaf«, erwiderte Macro leise, ließ sich auf seinen Strohsack fallen und deckte sich mit seinem Umhang zu. »Schlaf ist genau das Richtige für meinen Magen.«
    Cato schnürte seine Schuhe fertig und stand auf, mit eingezogenem Kopf, um ihn nicht am Deckenbalken anzustoßen, der quer durch den Raum verlief; das war eine der wenigen Gelegenheiten, wo es sich als Nachteil erwies, einen Kopf größer als Macro zu sein. Cato griff nach dem Ledersack mit gemahlener Gerste, der neben ihrer übrigen Ausrüstung bei der Tür an der Wand lehnte. Er schnürte ihn auf, gab je eine Portion in ihre beiden Essgeschirre, drehte den Sack oben sorgfältig zu und verknotete die Schnüre wieder, damit die Mäuse draußen blieben. »Ich gehe jetzt und koche den Brei auf. Du kannst unterdessen schon mal anfangen, die Rüstung zu polieren.«
    Als die Tür hinter seinem Freund zugefallen war, schloss Macro erneut die Augen und versuchte, nicht auf den Schmerz in seinem Schädel zu achten. Sein Magen fühlte sich wund und leer an. Eine Mahlzeit würde ihm guttun. Die Sonne war höher gestiegen, und er schlug erneut die Augen auf. Er stöhnte, warf den Umhang zur Seite und trat zu den Stapeln von Panzern und Ausrüstungsgegenständen, die neben der Tür lehnten. Obgleich sie beide den Rang eines Centurios bekleideten, hatte Macro Cato über ein Dutzend Jahre Erfahrung voraus. Manchmal empfand er es als merkwürdig, dass er plötzlich eine Anweisung des jungen Mannes befolgte. Aber sie waren ja nicht mehr im aktiven Dienst, wie Macro sich erbittert in Erinnerung rief. Der Rang war jetzt praktisch ohne Bedeutung. Vielmehr waren sie einfach zwei Freunde, die ums Überleben kämpften, bis sie endlich von den geizigen Beamten der kaiserlichen Finanzverwaltung ihren ausstehenden Sold erhielten. Solange sie noch darauf warteten, abkommandiert zu werden, mussten sie daher jede Sesterze zweimal umdrehen. Keine leichte Aufgabe, da Macro dazu neigte, die wenigen Ersparnisse, die er besaß, für Wein auszugeben.
    Das schmale Treppenhaus wurde bei jedem zweiten Treppenabsatz durch Öffnungen in der Mauer erhellt, und Cato, der beide Hände voll hatte, musste die alten, knarrenden Holzstufen vorsichtig hinuntersteigen. Um sich herum hörte er, wie andere Mieter aufstanden: das Geschrei kleiner Kinder, das unbeherrschte Brüllen ihrer Eltern und das leise, verdrossene Gemurmel derer, die irgendwo in der Stadt einem langen Arbeitstag entgegensahen. Obgleich er in Rom geboren und im Palast aufgewachsen war, bis er alt genug gewesen war, zur Legion geschickt zu werden, hatte Cato nie Grund gehabt, die Elendsviertel aufzusuchen, geschweige denn eines der hohen Mietshäuser zu betreten, in denen die Armen der Hauptstadt hausten. Er war schockiert gewesen, als er begriff, dass frei geborene Bürger so leben konnten. Ein solches Elend hatte er sich niemals vorgestellt. Selbst den Sklaven im Palast ging es besser. Wesentlich besser.
    Am Fuß der Treppe bog Cato nach innen ab und trat in den düsteren Hof, wo der gemeinsame Kochherd des Mietshauses stand. Ein verhutzelter alter Mann rührte auf der Herdstelle in einem großen, verrußten Topf, und in der Luft hing der Geruch von Getreidebrei. Selbst zu dieser frühen Stunde stand schon jemand vor Cato an, eine magere, blasse Frau, die mit ihrer großen Familie unmittelbar unter Macro und Cato in einem einzigen Zimmer lebte. Ihr Mann arbeitete in den
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