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Die Prophezeiung des Adlers

Die Prophezeiung des Adlers

Titel: Die Prophezeiung des Adlers
Autoren: Simon Scarrow
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letzten von ihnen erschlagen, aber zuvor hatte der Mann ihm noch einen Hieb in den Oberschenkel versetzt – eine Fleischwunde, die inzwischen gut verbunden war, aber immer noch schmerzhaft pochte.
    Der Piratenkapitän stieg aufs Hauptdeck hinunter. Er blieb beim Mast stehen, stieß einen der vier Männer mit dem Fuß an und wälzte die Leiche auf den Rücken. Der Mann hatte den Körperbau eines Soldaten und war von mehreren Narben gezeichnet. Genau wie die anderen drei. Vielleicht erklärte das ihr Geschick im Schwertkampf. Er stand auf, blickte aber immer noch auf den toten Römer hinunter. Dann war der also ein Legionär, genau wie seine Gefährten.
    Der Kapitän runzelte die Stirn. Was taten Legionäre auf einem Handelsschiff? Und nicht einfach nur irgendwelche Legionäre: Das hier waren handverlesene Männer – die besten. Wohl kaum zufällige Passagiere, die auf Urlaub aus dem Osten zurückgekehrt waren. Zweifellos hatten sie die Verteidigung des Handelsschiffs organisiert und geleitet. Und sie hatten bis zum letzten Blutstropfen gekämpft, ohne auch nur daran zu denken, sich zu ergeben. Es war wirklich eine Schande, überlegte der Kapitän. Er hätte ihnen gern die Chance geboten, sich seiner Besatzung anzuschließen. Manche Männer taten das. Die übrigen wurden an Sklavenhändler verkauft, die nicht fragten, wo die Ware herkam, und die klug genug waren, dafür zu sorgen, dass sie am anderen Ende des Imperiums auf den Markt gebracht wurden. Nicht nur als Verstärkung seiner Mannschaft wären die Männer wertvoll gewesen, sondern auch als Sklaven – wenn man ihnen erst einmal die Zunge herausgeschnitten hätte. Ein Mann würde sich wohl kaum über die Ungerechtigkeit seiner Versklavung beschweren können, wenn er nicht mehr sprechen konnte … Aber die Soldaten waren nun einmal tot. Sie waren mit Absicht gestorben, entschied der Kapitän. Es sei denn, sie hätten geschworen, etwas zu beschützen, oder jemanden …
    Was also hatten sie auf dem Schiff getan?
    Der Piratenkapitän rieb über den Verband seiner Wunde und blickte sich an Deck um. Seine Männer hatten die Luken des Frachtraums aufgeworfen und trugen die kostbarer wirkenden Teile der Fracht an Deck, wo ihre Kameraden die Kisten und Kästen aufrissen und den Inhalt nach Wertvollem durchwühlten. Weitere Männer befanden sich unter Deck und durchforsteten das Gepäck der Passagiere, und von unten drangen dumpfe Schläge und splitterndes Krachen herauf.
    Der Kapitän trat über die Leichen am Fuß des Masts hinweg und suchte sich einen Weg nach vorn. Am Bug drängten sich die Überlebenden des Überfalls: eine Handvoll Matrosen, überwiegend verwundet, und mehrere Passagiere. Sie beobachteten ihn beim Näherkommen misstrauisch. Er hätte beinahe gelächelt, als er sah, wie einer der Matrosen versuchte, sich zitternd zu verkriechen. Der Kapitän zwang sich, weiter ausdruckslos zu schauen. Unter dunklem, verfilztem Haar und einer kräftigen Stirn blickten stechende schwarze Augen hervor. Seine gebrochene Nase war schief zusammengewachsen, und unregelmäßiges, weißes Narbengewebe bedeckte sein Kinn, seine Lippen und seine Wange. Dieses Äußere hatte eine wundervolle Wirkung auf alle, die ihn erblickten, aber die Verletzungen erzählten gar nicht von seiner lebenslangen Erfahrung als Pirat. Er trug die Narben vielmehr schon seit seiner frühen Kindheit, als seine Eltern ihn in den Elendsvierteln von Piräus ausgesetzt hatten, und er hatte längst vergessen, was damals zu diesen schrecklichen Wunden geführt hatte. Die Passagiere und die Besatzung des Handelsschiffs wichen vor dem Piraten zurück, als er eine Schwertlänge vor ihnen stehen blieb und die dunklen Augen über sie wandern ließ.
    »Ich bin Telemachos, der Anführer dieser Piraten«, sagte er auf Griechisch zu den verängstigten Matrosen. »Wo ist euer Kapitän?«
    Es kam keine Antwort, er hörte nur das nervöse Atmen von Männern, denen ein grausames Schicksal unmittelbar bevorstand. Ohne sie auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen, fuhr die Hand des Piratenkapitäns nach unten, und er zog langsam sein Falcataschwert.
    »Ich hatte nach dem Kapitän gefragt … «
    »Bitte, Herr!«, unterbrach ihn eine Stimme. Der Blick des Piraten glitt zu dem Mann, der es so eilig gehabt hatte, sich vor ihm zu verkriechen. Jetzt hob der Matrose den Arm und zeigte mit bebendem Finger über das Deck. »Der Kapitän liegt dort drüben … Er ist tot … Ich habe gesehen, wie du ihn getötet hast,
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