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Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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Gefühl, denn er hörte jemanden weinen. Frauen traten zur Seite, als er den schweren Vorhang zurückschob, der im Eingang hing. Er war der einzige Mann, der das Recht hatte, hier einzutreten.
    Cigfolla, eine der jüngeren Priesterinnen, saß mit einem gewickelten Bündel auf den Armen in der Ecke und summte leise. Der Blick des Merlin glitt an ihr vorbei zu der Frau auf dem Bett und blieb dort haften, denn Rian, deren Schönheit stets in ihren anmutigen Bewegungen zum Ausdruck gekommen war, regte sich nicht. Die dunklen Haare lagen in Strähnen auf dem Kissen; die eckigen Gesichtszüge nahmen bereits die unverwechselbare Leere an, die den Tod vom Schlaf unterscheidet.
    »Wie…« Er machte eine kleine, hilflose Geste und bemühte sich, die Tränen zu unterdrücken. Er wusste nicht, ob Rian sein leibliches Kind war, doch sie war ihm wie eine Tochter gewesen.
    »Es war ihr Herz«, sagte Ganeda. Ihre Ähnlichkeit mit der Frau auf dem Bett trat beinahe schmerzhaft deutlich hervor, wenngleich Rians Ausdruck meist so sanft gewesen war, dass es stets leicht fiel, die beiden Schwestern zu unterscheiden. »Sie hat zu lange in den Wehen gelegen. Das Kind war groß, und ihr Herz versagte bei der letzten Anstrengung, es schließlich aus dem Leib zu stoßen.«
    Der Merlin trat ans Bett und schaute auf die Tote. Dann beugte er sich vor und drückte das Segenszeichen auf die kalte Stirn.
    Ich habe zu lange gelebt , dachte er wie betäubt. Rian hätte die Sterberiten für mich vollziehen müssen .
    Er hörte, wie Ganeda hinter ihm Luft holte. »Sag an, Druide, welches Schicksal prophezeien die Sterne dem Mädchen, das in dieser Stunde geboren wurde?«
    Der alte Mann drehte sich um. Ganeda schaute ihn an, mit Augen, die vor Wut und unvergossenen Tränen glänzten. Sie hat das Recht, danach zu fragen , dachte er bitter. Ganeda war zugunsten ihrer jüngeren Schwester übergangen worden, als die vorherige Hohepriesterin starb. Er nahm an, dass die Wahl jetzt auf sie fallen würde.
    Dann spürte er, wie sich sein Geist erhob, und antwortete auf ihre Herausforderung.
    »Also sprechen die Sterne…« Seine Stimme zitterte nur wenig. »Das Kind, das zur Herbstwende geboren wurde, zu dem Zeitpunkt, da die Nacht der Morgendämmerung wich, wird an der Wende des Jahrhunderts stehen, an dem Tor zwischen zwei Welten. Die Zeit des Widders ist vorüber, jetzt sollen die Fische herrschen. Der Mond verbirgt sein Gesicht - diese Jungfrau soll den Mond verbergen, den sie auf der Stirn trägt, und erst in hohem Alter wird sie ihre wahre Macht erlangen. Hinter ihr liegt der Weg, der in die Dunkelheit und deren Geheimnisse führt, vor ihr leuchtet das grelle Licht des Tages.
    Mars ist im Zeichen des Löwen, aber Krieg wird sie nicht erschüttern, steht er doch unter dem Stern des Königtums. Für dieses Kind wird Liebe mit Herrschertum einhergehen, denn Jupiter drängt zur Venus. Ihr gemeinsames Strahlen wird die Welt erleuchten. In dieser Nacht kommen alle auf die Jungfrau zu, die ihre wahre Königin sein wird. Viele werden sich vor ihr verneigen, doch ihre eigentliche Hoheit wird verborgen bleiben. Alle werden sie preisen, doch nur wenige werden ihren wahren Namen kennen. Saturn steht jetzt in der Waage - ihre schwierigsten Aufgaben werden darin bestehen, das Gleichgewicht zu halten zwischen der alten Weisheit und der neuen. Mercurius indes ist verborgen. Ich sehe für dieses Mädchen viele Wanderungen und viele Missverständnisse voraus, doch führen am Ende alle Wege hin zur Freude und zu ihrem wahren Zuhause.«
    Die Priesterinnen um ihn herum murmelten: »Er prophezeit Größe - sie wird die Herrin vom See, wie ihre Mutter vor ihr!«
    Der Merlin runzelte die Stirn. Die Sterne hatten ihm ein Leben voller Zauber und Macht gezeigt, aber er hatte schon oft die Sterne für Priesterinnen gelesen, und die Konstellationen, die ihr Leben voraussagten, passten nicht zu denen, die er jetzt sah. Ihm schien, dass diesem Kind bestimmt war, einen Weg zu gehen, den noch keine Priesterin von Avalon je zuvor beschritten hatte.
    »Ist das Kind gesund und wohlgestaltet?«
    »Es ist vollkommen, Herr.« Cigfolla erhob sich und drückte das gewickelte Kind fest an die Brust.
    »Wirst du ihr eine Amme suchen?« Er wusste, dass im Augenblick keine der Frauen auf Avalon ein Kind nährte.
    »Wir können sie ins Dorf zu den Bewohnern am See geben«, antwortete Ganeda. »Dort ist immer eine Frau mit einem Neugeborenen. Wenn sie entwöhnt ist, werde ich sie zu ihrem Vater
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