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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom
Autoren: Manfred Böckel
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Prolog
     
    Das Kleinkind
     
    Irgendwann im Jahr 335
    Rabenschwarz ragte eine gewaltige Bergflanke, die direkt aus dem Meer aufwuchs, zum Himmel empor. Blutrot glühende Zungen zuckten über das Firmament und über die vor Urzeiten behauenen Steinquader, die sich an einer Stelle des Felsmassivs zu zyklopischen Mauerzügen türmten. Die Stadt der Riesen schien zu neuem, dämonischem Leben zu erwachen; es war, als könnten ihre einstigen Bewohner jeden Moment aus den Tiefen der Vergangenheit hervorbrechen.
    Das dreijährige Mädchen fürchtete sich; zitternd starrte es auf die Zyklopenmauer, über deren Schroffen die bedrohlichen Lichterscheinungen züngelten. Schließlich wandte das Kind sich verstört ab und suchte inneren Halt am Anblick der Steinhütten des Dorfes. Der Rauch, der aus den Dachöffnungen der keltischen Rundhäuser aufstieg, war dem Mädchen vertraut; das Kleinkind beruhigte sich ein wenig, während es die dünnen, grauen Fäden über den schweigend daliegenden Bergketten zerfasern sah.
    Dann zerrissen gellende Schreie die Stille. Die Silhouette der Landschaft zersplitterte, an ihre Stelle trat das Antlitz einer heranhetzenden Frau mit panisch geweiteten Augen: der Mutter des Mädchens. Gleichzeitig war rauhes Männergebrüll und das scharfe, schrille Klirren von Eisen gegen Eisen zu vernehmen. Unmittelbar darauf roch das Kind beißenden, stinkenden Qualm.
    Anderswo und nun offenbar in großer Entfernung von dem Ort, wo das Schreckliche geschehen war, formten sich weitere Bilder aus. Zusammen mit ihrer Mutter hastete die Dreijährige durch dichten Wald. Einmal brach ein Tier durch das Unterholz; sie erschrak, stolperte über eine moosüberwucherte Wurzel und stürzte. Die Hand der Erwachsenen riß sie sofort wieder hoch; erneut rannten sie, bis sie sich zuletzt unter einem niedergebrochenen Baumstamm verkrochen. Und dort, in dieser engen Höhle aus vermodertem Laub und fauligem Holz, begann die Mutter tief in der Nacht so seltsam zu röcheln.
    Das herzzerreißende Geräusch riß nicht mehr ab; verzweifelt bemühte sich das Mädchen, der Kranken zu helfen. Das Kleinkind wischte der Fiebernden den Schweiß von der Stirn und versuchte immer wieder, ihr ein paar Tropfen Wasser einzuflößen: Tau, von den Farnwedeln draußen vor dem Versteck. Das Mädchen flehte die Röchelnde an, nicht zu sterben – doch irgendwann kam der schreckliche Morgen, an dem die Mutter nicht mehr atmete. Mit weit aufgerissenen Augen lag die Tote da und reagierte nicht länger auf das Weinen und die verängstigten Rufe ihres Kindes; zuletzt, weil der alptraumhafte Anblick unerträglich wurde, floh die zutiefst verängstigte Dreijährige blindlings.
     
 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Kontinent (nicht auf der Karte)
    Samarobriva – Amiens
    Lutetia – Paris
    Durocortorum – Reims
    Divio – Dijon
    Geneva – Genf
    Augusta Taurinorum – Turin
    Massilia – Marseille
     
     
     
     
    Orte (und ihre heutigen Bezeichnungen):
    Britannien/Irland
    Baile átha Cliath – Dublin
    Môn Mam Cymru – Anglesey
    Eryni Gwyn – Snowdown-Mass
    Ynys Vytrin – Bardsey
    Avalon – Glastonbury
    Glevum – Gloucester
    Aquae Sulis – Bath
    Londinium – London
    Cymru – Wales
    Gwynedd – Nordwest-Wales
    Erinn – Irland

     
     

     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     

Erstes Buch Eryri Gwyn
Das Land des Weißen Adlers
    Hochsommer 354 bis Frühsommer 355

 
Die gläserne Insel
    Die Insel erinnerte in ihrer Gestalt an den Leib eines gigantischen Wals. Wo sich das mächtige Haupt aus der See erhob, brachen sich die Wogen ungestüm und schleuderten weiße Gischtfahnen am dunklen Gestein empor. Am gegenüberliegenden Ende des Eilands – dem Schwanz des Wals, der sachte ins Meer tauchte – liefen auch die Wellen weich auf. Das Wasser kabbelte sich dort nur spielerisch mit einigen vorgelagerten Kliffs und ließ es zu, daß die Möwen dicht über den flachen Wogenkämmen tanzten.
    Dies war freilich nur die eine, diesseitige Erscheinungsform der Ynys Vytrin, der Gläsernen Insel. Denn zu gewissen Zeiten, wenn der Anhauch des Göttlichen sie berührte, zeigte sie ihr jenseitiges Antlitz. Ihre eben noch felsige Substanz verwich dann und wurde auf traumhafte Weise zu beinahe durchsichtigem Schweben. Und in dieser losgelösten Schwerelosigkeit manifestierte sich jenes Licht, das für die keltischen Eingeweihten zur Brücke nach Annwn, der Anderswelt, werden konnte.
    ***
    Die junge Frau, die sich auf
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