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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom
Autoren: Manfred Böckel
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Dafydd.
    »Wir werden sehen …« kam es leise von der jungen Frau, dann griff sie nach dem Strick und führte den Widder, der ihr willig folgte, hinüber zu der kleinen Bucht, wo sie am Morgen den Curragh auf den Strand gezogen hatten.
    Das keltische Boot bestand aus einem mandelförmigen Holzrahmen, der außen mit Ziegenleder bespannt war. Wo die Häute sich überlappten, waren sie mit Sehnen vernäht und zusätzlich mit Harz verklebt. Der Curragh wirkte aufgrund seiner gedrungenen Gestalt beinahe plump und wenig seetauglich, aber dieser Eindruck täuschte. Denn seit vielen Jahrhunderten hatten solche Boote, die in verschiedenen Größen gebaut wurden, sich sowohl auf den Flüssen als auch an den Küsten Westeuropas bewährt – und schon vor beinahe tausend Jahren, als die ersten Kelten vom Kontinent nach Britannien übergesetzt waren, hatten sie Curraghs benutzt.
    Jetzt schob Dafydd das leichte Boot, das zur Not von einem einzigen Mann auf den Schultern getragen werden konnte, ins Wasser. Als er sich danach wieder zu Branwyn umwandte, sah er, wie sie beide Hände an die Kinnbacken des Widders legte. Anfangs sträubte sich das Tier noch ein wenig, doch als es die gedämpfte Stimme der jungen Frau vernahm, wurde es ruhiger und stand zuletzt völlig bewegungslos da. Auch Dafydd glaubte zu spüren, wie die seltsamen Beschwörungen, die Branwyn halb gesungen, halb gesprochen hatte, sein Inneres mit tiefem Frieden erfüllten – dann wurde er Zeuge, wie die Frau, die er liebte, den Bock mit dem schwarzbraunen Fell hochhob und ihn die letzten paar Schritte zum Curragh trug. Geschmeidig, den Widder gleich einem Kind auf den Armen, glitt sie ins Boot, kauerte sich nieder und nahm das Tier auf ihren Schoß.
    Entspannt, beinahe so, als würde er schlafen, blieb der junge Bock liegen. Nur seine Ohren zuckten ein wenig, während Dafydd nun ebenfalls in den Curragh stieg und das Paddel ergriff. Noch war er skeptisch, aber als das Boot gleich darauf auf den Wellen zu schlingern begann und der Widder auch jetzt keinerlei Schwierigkeiten machte, mußte sich Dafydd endgültig eingestehen, daß es richtig gewesen war, Branwyn zu vertrauen.
    »Ich weiß nicht genau, wie du es geschafft hast, doch es ist dir ohne Zweifel wieder einmal bestens gelungen, die natürliche Ordnung der Dinge auf den Kopf zu stellen«, sagte er, nachdem er das Boot gut in die ablandige Strömung gebracht hatte. »Was waren das bloß für Zauberformeln, die du vorhin benutztest?«
    »Kein Zauber, sondern nur ein einfacher Bardengesang«, antwortete die junge Frau lächelnd. »Eigentlich ist er zur Beruhigung von Kindern gedacht, aber wie du gesehen hast, wirkt er zuweilen auch bei Tieren.«
    »Und natürlich hat die alte Arawn ihn dich gelehrt, nicht wahr?« kam es von Dafydd.
    »Nein, es war Kigva«, entgegnete Branwyn. »Schließlich ist sie unter uns drei Hüterinnen der Heiligen Quelle für alles zuständig, was eine gute Mutter wissen sollte. Arawn hingegen bewahrt die tiefste Weisheit der Göttin; sie ist es, welche die Alten liebevoll über die Schwelle des Todes geleitet …«
    Branwyn brach ab. Jäh war die Erinnerung an das beklemmende Erlebnis – die nicht wirklich greifbare finstere Vision oder vielleicht auch nur den Alptraum – zurückgekehrt, das sie unmittelbar vor Dafydds Rückkehr gehabt hatte. Einen Augenblick lang war sie versucht, ihm davon zu erzählen, doch eben als sie zum Sprechen ansetzen wollte, begann der Curragh zu trudeln.
    Das Boot passierte ein Vorgebirge, wo Kreuzseen das Wasser aufwühlten; hier mußte Dafydd all seine Geschicklichkeit aufbieten, damit sie über die tückischen Strudel hinwegkamen. Also schwieg die junge Frau und kümmerte sich statt dessen um den Widder auf ihrem Schoß, um ihn auch weiterhin ruhig zu halten. Jenseits der gefährlichen Stelle dann öffnete sich der Blick weit über Land und Meer, und das Panorama war so beeindruckend, daß Branwyn alles andere vergaß.
    Zur Linken erstreckte sich die Steilküste der Lleyn-Halbinsel, auf welcher das Dorf Aberdaron lag, wo Dafydd den Schafbock besorgt hatte. Da die Sonne mittlerweile schon tief stand, glühte das Heidekraut auf der Hochfläche in beinahe magischem, von dunkelroten Bahnen durchzogenem Violett; dazwischen gab es goldgelbe Flecken von blühendem Ginster. Tiefer unten schleuderte die See helle Gischt gegen die schieferschwarzen Klippen; draußen, zur Rechten, erhob sich die Ynys Vytrin aus dem Wasser, deren Konturen jetzt, im ganz
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