Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom
Autoren: Manfred Böckel
Vom Netzwerk:
hielt.
    An diesem Abend allerdings konnte der Widder nicht mehr zu den übrigen Tieren gebracht werden, da das Rudel derzeit auf der Hochebene der Insel weidete und der weite Weg dorthin in der Dunkelheit, die nun bald hereinbrechen würde, zu gefährlich gewesen wäre. Deshalb nahm Dafydd den Schafbock für diese Nacht mit zu der kleinen Hürde bei dem Rundhaus, das er mit seinen betagten Eltern bewohnte. Branwyn begleitete ihn noch, um sich unter vier Augen von ihm zu verabschieden, und lief dann zurück ans andere Ende der Ansiedlung.
    Unter der Tür des etwas abseits stehenden Hauses, das von den weit ausladenden Ästen einer großen Eibe überschattet wurde, wartete bereits Kigva auf sie. Die ungefähr vierzigjährige Frau mit dem runden, gutmütigen Gesicht und dem dunkelblonden Haar, das am Hinterkopf zu einem Knoten geschlungen war, umarmte Branwyn, warf anschließend einen Blick auf den prall gefüllten Tragesack der Jüngeren und stellte fest: »Wie ich sehe, hattest du Glück bei der Kräutersuche.«
    »Ja, ich habe all die Pflanzen gefunden, die wir brauchen«, erwiderte Branwyn. »Auch die Taubnesseln, die dem Säugling unserer Nachbarin das Zahnen erleichtern werden. – Doch nun habe ich schrecklichen Hunger …«
    »Dem kann abgeholfen werden«, lachte Kigva. »Es gibt Fisch, der schon in der Pfanne schmurgelt, und zum Nachtisch einen wirklich prachtvollen Beerenkuchen, den Arawn gebacken hat.«
    Als Branwyn eintrat, sah sie die bereits ergraute, aber noch rüstige Frau bei der aus Steinen geschichteten Feuerstelle in der Mitte des Raumes kauern. Arawn nickte ihr lächelnd zu; aus ihren Augen, die von einem Geflecht feiner Fältchen umgeben waren, strahlte gütige Weisheit. Branwyn legte den Tragesack auf ein Bord, kniete sich neben die Greisin auf den mit Binsen bedeckten Boden und war ihr behilflich, die Makrelen ein letztes Mal zu wenden. Kigva deckte unterdessen den niedrigen Holztisch, der ein paar Schritte vom Feuerplatz entfernt stand. Wenig später waren die köstlich duftenden Fische gar, die drei Frauen nahmen auf Schemeln Platz und begannen zu essen.
    Während sie das krosse Makrelenfleisch und dazu Haferbrot, Feldsalat und Kräutertee genossen, erzählte Branwyn von ihrem Tag auf dem Festland. Vor allem berichtete sie, an welch verborgenen Plätzen sie die verschiedenartigen Heilpflanzen gefunden hatte, die es auf der Insel nicht gab. Später, als sie sich Arawns Beerenkuchen schmecken ließen, kam die Rede auch auf Dafydd. Arawn und Kigva schmunzelten, als sie erfuhren, wie Branwyn ihren Begleiter durch die scheinbar so wundersame Zähmung des Widders verblüfft hatte.
    »Da ihr nun schon beinahe eineinhalb Jahre ein Paar seid, hätte Dafydd ja eigentlich wissen müssen, daß du derartige Fähigkeiten besitzt«, sagte Kigva zuletzt. »Doch so ist das eben mit den Männern. Sie sind in solchen Dingen meistens viel schwerer von Begriff als wir Frauen …«
    »Aber in anderen Bereichen können wiederum wir von ihnen lernen«, verteidigte Branwyn ihren Freund. »Dafydd hat zum Beispiel ein einzigartiges Gespür für das Meer. Ich bin sicher, er könnte seinen Curragh bis hinüber nach Irland steuern, und was die Fischschwärme in den Tiefen der See angeht, so scheint er sie über große Entfernungen hinweg förmlich zu wittern.«
    »Du hast recht«, stimmte Arawn ihr zu. »Frauen und Männer ergänzen sich ähnlich wie das Götterpaar Beltane und Samhain. Die lichte Göttin Beltane steht für Frühling und Sommer und all die Kräfte, welche mit diesen Jahreszeiten verknüpft sind. Ihr Gefährte Samhain hingegen ist der Gott von Herbst und Winter, sein Wesen entspricht diesen dunkleren und härteren Jahreszeiten. Doch erst in ihrem Miteinander bilden Beltane und Samhain den Kreis des ganzen Jahres und damit des Lebens …«
    Geburt, Heranwachsen und Reife – aber auch Altern, Verwelken und Tod, dachte Branwyn unwillkürlich. Ihr Blick ging zur Feuerstelle, von wo die dunkelrote Glut Hitzewellen herübersandte. Doch im Verlauf der Nacht würden die Torfsoden erkalten, und am Morgen würde sich im Rund zwischen den Steinen nur noch klamme Asche finden. Verkohlte Überreste, die nichts weiter als traurige Erinnerung an verlorene Wärme sind, durchfuhr es die junge Frau – und plötzlich hatte sie, wie schon zweimal zuvor an diesem Tag, das Gefühl, sich in tiefer Finsternis zu verlieren: in schwarzer Beklemmung, gegen die sie sich nicht zu wehren vermochte, weil die schattenhaften,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher