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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom
Autoren: Manfred Böckel
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Meeres, Segel über der Kimmung – mit einem Mal das Antlitz, von dem sie kurz zuvor noch geträumt hatte: das Gesicht Dafydds, das sich danach sehnte, von ihren Händen liebkost zu werden …
    Sie näherte sich ihm, schon spürte sie seine Wärme – aber ehe sie ihn berühren konnte, wurde die beglückende Aura, in der er und sie sich aufeinander zu bewegten, schlagartig zu bedrohlicher Finsternis. Am Rand der Schwärze schienen sich vage Schemen zu zeigen; sie wuchsen, gewannen deutlichere Konturen, wurden trotzdem nicht wirklich greifbar. Dennoch glaubte Branwyn, etwas wie heranjagende Schattenwesen auszumachen: heulende, gehörnte Unholde; schauerliche tiermenschliche Bestien, die es auf das Eiland abgesehen hatten. Beklemmende Kälte preßte das Herz der Seherin; je mehr sie sich bemühte, Einzelheiten zu erkennen, desto eisiger wurde der gräßliche Druck. Verzweifelt dagegen ankämpfend, bemühte sie sich, Dafydd herbeizurufen; bevor es ihr freilich gelang, seinen Namen über die Lippen zu bringen, vernahm sie wie aus weiter Ferne den ihren: »Branwyn, wo steckst du denn?«
    Verwirrt kam sie zu sich. Auf dem schmalen Pfad, der einen Steinwurf tiefer entlang des Strandes verlief, erkannte sie Dafydd; gleichzeitig wurde sie gewahr, daß die Ynys Vytrin wieder ihre diesseitige Gestalt angenommen hatte. Scharf umrissen und unter völlig klarem Firmament lag das Eiland draußen im Meer, das wild gegen den Walkopf schäumte und spielerisch um die vorgelagerten Kliffs am Schwanzende kabbelte. Nichts deutete mehr auf das andersweltliche und zuletzt so furchteinflößende Erlebnis hin, das die junge Frau gehabt hatte; erstaunt fragte sie sich, ob sie womöglich alles nur geträumt hatte.
    Branwyn fand keine Zeit, intensiver darüber nachzudenken, denn abermals rief Dafydd nach ihr. Sie hängte sich den Tragesack mit den Kräutern über die Schulter, sprang auf, löste sich aus dem Sichtschutz des Felsens und winkte dem großgewachsenen, dunkelhaarigen Mann unten auf dem Klippenpfad zu. Wenig später, nachdem sie den steilen Hang des Kaps halb laufend, halb rutschend überwunden hatte, war sie bei ihm. Dafydd fing sie in seinen Armen auf; blökend wich der junge Schafbock mit dem schwarzbraunen Fell, den er an einem Strick mit sich führte, ein paar Trippelschritte zurück.
    Sie küßten sich zärtlich, dann wies Dafydd auf den Widder. »Ein prächtiges Tier, nicht wahr? Außerdem habe ich den Bock zu einem wirklich günstigen Preis bekommen!«
    »Ich wußte, du würdest einen guten Handel in Aberdaron abschließen!« Sie strahlte ihn an; die Beklemmung, die sie kurz zuvor noch verspürt hatte, war wie weggeblasen. Jetzt zählte allein Dafydds Gegenwart: die Wärme und Zuneigung, die ihr aus den tiefblauen Augen im markanten, von Sonne und Seeluft gebräunten Antlitz des knapp dreißigjährigen Inselbauern und Fischers entgegenleuchtete.
    »Bloß schade, daß du mich nicht ins Dorf begleitet und statt dessen hier auf der Landspitze Heilkräuter gesammelt hast«, neckte er sie nun. »Womöglich hätte der Züchter in Aberdaron uns den Widder umsonst überlassen, wenn du ihm mit deinem bezaubernden Lächeln ein bißchen den Kopf verdreht hättest.«
    »Das sagst du doch nur, weil du von mir hören möchtest, daß du der einzige Mann bist, an dem mir liegt«, ging Branwyn auf das Spiel ein. »Aber du solltest dir da nicht zu sicher sein – schließlich gibt's außer dir durchaus noch gewisse andere interessante männliche Lebewesen hier in der Gegend …«
    »Nämlich?!« entfuhr es Dafydd.
    »Na, zum Beispiel den Schafbock, von dem du eben so geschwärmt hast«, versetzte sie schelmisch – und genoß den erleichterten Ausdruck auf seinem Gesicht. Im nächsten Moment versöhnte sie ihn mit einem weiteren Kuß; gleich darauf knieten beide bei dem jungen Widder, der seine anfängliche Scheu vor Branwyn nun schnell überwand und nach einer Weile ihre Hand zu lecken begann.
    »Er mag dich«, freute sich Dafydd. »Und auch mir machte er auf dem Herweg keinerlei Schwierigkeiten. Aber wenn das im Curragh so bleiben soll, werden wir ihn wohl fesseln müssen …«
    »Nein, das werden wir nicht tun!« widersprach Branwyn. »Er ist ein ebenso wertvolles Geschöpf wie du und ich, deshalb wäre es nicht im Sinn der Göttin, ihm ohne Not Gewalt anzutun …«
    »Auch Jesus hatte gerade für die Schafe ein Herz – doch du vergißt, daß der Bock, falls er verrückt spielt, das Boot zum Sinken bringen könnte«, beharrte
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