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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin
Autoren: Iny Lorentz
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Hass, der in derStadt herrschte, würde vor niemand Halt machen, der Otfried unterstützt hatte, und das galt besonders für ihn und seine Familie. Sie würden von Glück sagen können, wenn sie am Leben blieben.
    Für einen Augenblick blieb Rigobert wie angewurzelt stehen. Dann drehte er sich um und rannte wie von Furien gehetzt auf das Gürtler-Haus zu. Dieses wurde zum Glück noch nicht belagert, und Rigobert fiel ein Stein vom Herzen. Doch als er eintrat, herrschten darin bereits Kopflosigkeit und Angst. Der größte Teil des Gesindes hatte das Anwesen fluchtartig verlassen, und seine Mutter rannte von Zimmer zu Zimmer, schimpfte auf das unzuverlässige Dienerpack und flehte alle Heiligen an, wieder Ruhe einkehren zu lassen.
    Rigobert schüttelte sie. »Jammern hilft jetzt nichts! Wir müssen einpacken, was wir tragen können, und so schnell wie möglich die Stadt verlassen. Im östlichen Teil ist es noch ruhig. Daher hoffe ich, wir können das Osttor passieren und fliehen.«
    Regula Böhdinger starrte ihren Sohn an, als wäre er von Sinnen. »Du willst fort? Aber warum? Die Bayern und die Stadtbüttel werden den Aufruhr bald unter Kontrolle haben.«
    »Ich wünschte, es wäre so! Doch die Rebellen werden von fremden Söldnern unterstützt und belagern bereits das Quartier der Bayern. Wenn es hart auf hart kommt, wird die Stadt brennen! Und was dann mit denen geschieht, die zu Otfried gehalten haben, kannst du dir selbst ausmalen.«
    Rigobert gab ihr einen Stoß und herrschte dann seine Tante Pankratia an, seinem Befehl zu folgen. Diese starb fast vor Angst um ihre beiden Söhne Albert und Heinz und gehorchte daher, während ihre Schwester jammernd und schimpfend stehen blieb und nun Beistand durch ihren Schwager Martin Böhdinger erhielt.
    Der Kirchenmann schaute hochmütig auf Rigobert herab. »Was redest du für einen Unsinn, Junge? Unsere Bayern werden das aufmüpfige Gesindel schon bald auseinandergetrieben haben. Wenn wir jetzt in Panik die Stadt verlassen, machen wir uns vor aller Augen lächerlich.«
    »Ihr könnt ja hier bleiben, hochwürdiger Herr. Ich frage mich nur, was der Mob mit einem Priester machen wird, der offen für die Herrschaft Herzog Stephans eingetreten ist. Vielleicht rettet Euch Euer geistliches Amt. Ich für mein Teil würde mich nicht darauf verlassen.« Mit diesen Worten kehrte Rigobert ihm den Rücken zu und trat in die Stube seiner Mutter. Dort nahm er die Kassette, in der sie ihr Geld verwahrte, brach diese auf und schüttete den Inhalt in einen großen Beutel.
    Regula war ihrem Sohn gefolgt, wagte aber nicht, ihn an seinem Tun zu hindern, sondern raffte ihre Schmucksachen zusammen und wies ihre Tochter an, dasselbe zu tun. Nun erinnerte sie sich an manch hasserfüllten Blick, der sie auf ihren Wegen durch die Stadt gestreift hatte, und bekam es mit der Angst zu tun, denn sie ahnte, was geschehen würde, wenn sie und ihre Kinder in die Hände ihrer Mitbürger fielen. Bei dieser Vorstellung drehte sie sich zu Rigobert um und nickte heftig. »Ich glaube, es ist wirklich besser für uns, die Stadt zu verlassen.«
    »Dann kommt jetzt! Wir nehmen nur mit, was wir ohne Mühe tragen können.« Rigobert hielt seine Schwester auf, die noch einige Kleider einpacken wollte, und zog sie mit sich in den Hof. Dort hatte sich bereits der Rest der Familie versammelt. Albert hielt eine Fackel in der Hand, in deren Schein Rigobert ängst liche und verzagte Gesichter vor sich sah, die ihn anstarrten, als erwarteten sie sich von ihm Hilfe und Schutz. In diesem Augenblick begriff er, dass die Ereignisse ihn zum neuen Familienoberhaupt gemacht hatten. Er warf einen kurzenBlick auf die Besitztümer, die ihnen geblieben waren. Viel war es nicht, doch sie würden anderswo nicht als Bettler anfangen müssen.
    Tatsächlich erreichten sie ungehindert das östliche Tor. Es war verschlossen und die Leichen der drei bayerischen Söldner, die von entfesselten Bürgern niedergemacht worden waren, lagen noch davor. Von deren Mörder aber gab es keine Spur. Diese hatten sich wohl jenen Bürgern angeschlossen, welche das Laux-Anwesen und das Haus von Otfried Willinger belagerten.
    Rigobert sträubten sich beim Anblick der Toten die Haare. Mit hektischen Bewegungen öffnete er die Nachtpforte und scheuchte seine Verwandten ins Freie. Da er befürchtete, man könnte sie noch im letzten Augenblick entdecken, lauschte er bei jedem Schritt auf ein Geräusch, das Verfolger ankündigen mochte. Schließlich war er jedoch
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