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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin
Autoren: Iny Lorentz
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und hörte, wie sie ihm ins Gesicht schleuderte, dass er all diese Qualen um ihres Vaters willen und des Betruges an ihr mehr als verdient hatte.
    Als er das Schlagen der Türen unten im Haus und die ersten Schritte auf der Treppe vernahm, packte er einen alten Stuhl,stellte ihn unter das Seil und stieg hinauf. Dann knüpfte er mit zitternden Händen eine neue Schlinge.
    Es dauerte eine Weile, bis die Falltür endlich nachgab, und als Sebastian und Tilla den Speicher durchsuchten, fanden sie einen Toten.

IX.
    Seit den aufregenden Ereignissen in Tremmlingen waren drei Jahre vergangen, und das Land erstrahlte unter einem Sommertag, wie man ihn sich schöner nicht wünschen konnte. Der lichte Buchenwald schimmerte golden und hoch am Himmel kreiste ein Adler, der sich auf seiner Suche nach Beute auch von den beiden Reitern nicht stören ließ, die den schmalen Weg zu der kleinen Wallfahrtskirche einschlugen. Nach wenigen hundert Schritten tauchte das Gebäude vor den Besuchern auf und sie konnten erkennen, dass das Gotteshaus erst vor kurzer Zeit fertiggestellt worden war. Obwohl die Kirche eher bescheiden wirkte, bestand sie aus sorgfältig behauenen Sandsteinquadern und wurde von einem viereckigen Turm gekrönt, hinter dessen Schalllöchern eine beachtliche Glocke hing. Ein mehrstufiger, mit allegorischen Figuren geschmückter Rundbogen bildete den Eingang und auch der Stil des restlichen Baus war für diese Lande eher ungewöhnlich zu nennen. Ein Gotteshaus dieser Art hätte man eher im Süden Frankreichs oder in den christlichen spanischen Königreichen erwartet.
    Unweit der Kirche befand sich der Wunderbrunnen, dessen heilendes Wasser in weitem Umkreis berühmt war. Auch er war erst vor kurzem neu eingefasst worden und hätte genauso gut in der Gascogne oder in Navarra stehen können. Obwohl die Kirche etwas außerhalb des nächsten Dorfes erbaut worden war,bildete sie das Zentrum der hiesigen Pfarrei, und der Priester, der diese Pfründe sein Eigen nannte, konnte neben dem Zehnt seiner Gemeinde auch über den Ertrag mehrerer großer Bauernhöfe verfügen.
    Der Mann in der dunklen Kutte, der nun auf das Paar aufmerksam wurde, sah jedoch nicht so aus, als würde er die Einnahmen seiner Pfarre verprassen. Sein Gewand bestand aus schlichter Wolle und seine Schuhe waren von derber Machart, aber bequem und vor allem fest. In der Hand hielt er einen langen Stab, wie ihn Wanderer mit auf den Weg nehmen, um Gräben zu überwinden oder beißwütige Hunde von sich abzuwehren, und auf seiner Brust ruhte ein schlichtes Kreuz aus Holz. Sein Bart zeigte bereits die graue Farbe eines langen Lebens und die Jahre hatten tiefe Kerben in sein schmales Gesicht geschnitten. Aber seine Augen verrieten, dass er mit den Früchten seines Lebens mehr als zufrieden war.
    Er streckte die Hand aus, um der jungen Frau von ihrem Maultier zu helfen, und zog sie dann unter Freudentränen an sich.
    »Tilla! Es ist so schön, dich wiederzusehen.«
    »Und mich nicht?« Sebastian sprang von seinem Pferd und sah den ehemaligen Pilgerführer strahlend an. »Ihr seht gut aus, ehrwürdiger Vater. Wenn mich nicht alles täuscht, habt Ihr sogar ein wenig zugenommen.«
    »Nun, heutzutage beschreite ich weniger anstrengende Pfade als früher. Mehr lässt mein Alter nicht mehr zu. Manchmal sehne ich mich jedoch nach dem Wind, der über dem Pass von Roncevalles bläst, nach der Hitze der Meseta und nach dem reinigenden Bad im Meer bei Finis Terrae.« Vater Thomas lächelte ein wenig wehmütig, denn er wusste, dass er diese Orte niemals wiedersehen würde. Er raffte sich aber sofort wieder auf und betrachtete die beiden Besucher.
    Sebastian trug lederne Reithosen, feste Stiefel und ein Hemd aus ungebleichtem Leinen. Das war nicht gerade die Tracht eines reisenden Bürgers, sondern eher die eines jungen Edelmanns. Es dauerte einen Augenblick, bis Vater Thomas sich daran erinnerte, dass König Heinrich von Kastilien Sebastian den niederen Adel verliehen hatte und sein Gast diese Kleidung zu Recht trug. Tilla war in ein weites blaues Kleid gewandet, das ein süßes Geheimnis nicht ganz zu wahren vermochte, und hatte sich mit einem Schleier gegen die Hitze und die Fliegen geschützt. Jetzt nahm sie ihn ab und küsste den alten Priester.
    »Ich freue mich sehr, Euch wohlbehalten wiederzusehen. Es vertreibt die Trauer, die ich seit dem Tag empfunden habe, an dem wir in Puente la Reina von Euch scheiden mussten. Was könnt Ihr uns von Anna und Ambros erzählen? Es geht
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