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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin
Autoren: Iny Lorentz
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sicher, dass niemand hinter ihnen her war, und hätte am liebsten vor Freude geweint. Trotz seiner Erleichterung verbot er den Flüchtlingen, denen sich auch der hochwürdige Herr Martinus Böhdinger angeschlossen hatte, ihre Laternen anzuzünden, denn er wollte niemand auf die kleine Gruppe aufmerksam machen. So stolperten die Menschen, die von Veit Gürtlers Familie übrig geblieben waren, unter einem oft von ziehenden Wolken verdeckten Mond einem ungewissen Schicksal entgegen.

VII.
    Starrheim stand gemütlich gegen seinen Hengst gelehnt und lächelte vor sich hin, als Tilla und Sebastian zusammen mit dem alten Laux, den übrigen befreiten Gefangenen und der Bürgerwehr vor dem Willinger-Anwesen eintrafen.
    »Gibt es Probleme?«, fragte Sebastian, der dem Braten nicht trauen wollte.
    »Nicht die geringsten«, antwortete Starrheim freundlich und zog dabei das Schreiben des bayerischen Herzogs wieder hervor. »Das Ding hier hat uns sehr geholfen. Als Kadelburg sah, dass sich das Schreiben mit den herzoglichen Siegeln in unserem Besitz befindet, hat er den Schwanz eingezogen und ist mit seinen Trabanten davongeritten, als sei der Teufel hinter ihm her. Der wird sich so schnell nicht mehr in Tremmlingen sehen lassen.«
    »Kadelburg ist entkommen?« Sebastian war anzumerken, wie wenig diese Tatsache ihm passte.
    Starrheim trat neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sei froh, dass es so gekommen ist. Andernfalls hättest du dir ein bayerisches Rittergeschlecht zum Blutsfeind gemacht. Der Bayernherzog wird die Söldner verschmerzen, die hier draufgegangen sind. Aber wenn einer seiner Adeligen sein Leben in deiner Stadt verloren hätte, würde er Tremmlingen die Fehde ansagen und möglicherweise sogar den Kaiser auf seine Seite ziehen können.«
    Widerwillig musste Sebastian dem Freund Recht geben. Er schnaufte einmal tief durch und rang sich ein Lächeln ab. »Es sind nicht viele Bayern gefallen, denn wir haben gut dreißig Leuten freien Abzug gewährt. Außerdem ist Kadelburg nur der Knecht eines höheren Herrn. Otfried hingegen …«
    Er musterte das Haus mit einem finsteren Blick. »Auch wenn er mein Schwager ist, wird er seine Schuld auf Heller und Pfennig bezahlen.«
    Trotz seiner starken Worte blickte er seine Frau fragend an. Tilla wirkte jedoch noch rachsüchtiger als er. »Otfried hat unseren Vater umgebracht und schreckliches Leid über die Stadt gebracht.Er ist schon lange nicht mehr mein Bruder und wird seine gerechte Strafe erhalten!«
    Tilla musste an Ilga denken. Hätte die Magd damals nicht Schicksal spielen wollen, wäre sie wohl heute noch Gürtlers Weib und müsste dessen Brutalität erdulden. Mit einer energischen Bewegung trat sie vor und blickte zu dem Fenster hoch, hinter dem eine Öllampe flackerte.
    »Otfried, hörst du mich? Ich bin nach einer weiten Reise zurückgekehrt, um dich anzuklagen! Du hast nicht nur mich, sondern viele um ihr Recht betrogen, und es war deine Hand, die unseren Vater getötet hat! Ich habe sein Vermächtnis erfüllt und bin bis nach Santiago de Compostela gepilgert. Dort liegt sein Herz nun begraben. Otfried, du bist ein Mörder und Verräter. Die Stadt gehorcht dir nicht länger. Gib auf und nimm die Strafe auf dich, die dir zukommt!«
    Auf eine Antwort wartete sie vergebens.

VIII.
    Zunächst hatte Otfried Willinger nicht glauben können, dass ihm die Herrschaft über Tremmlingen entglitten war. Erst als er durch das Fenster sah, wie Kadelburg mit Starrheim verhandelte und zuletzt wie ein geprügelter Hund abzog, wurde er sich seiner Lage bewusst. Die Stadt war von einer anderen Macht als den Bayern eingenommen worden und niemand würde kommen, um ihm zu helfen. Nun erst dachte er an Flucht.
    Er rief nach der neuen Magd, die ihm helfen sollte, seine Schätze einzupacken, doch an deren Stelle humpelte die alte Ria heran.
    »Das Weibsstück ist fort, ebenso die anderen Mägde und Knechte. Du wirst dich mit mir zufrieden geben müssen.«
    Otfried starrte sie an, als hätte sie etwas Unanständiges gesagt.
    »Dummes, altes Weib! Meine Leute lassen mich doch nicht im Stich.«
    »Sie sind alle abgehauen, und wenn ich könnte, würde ich ebenfalls weit weglaufen«, keifte die Alte.
    »Ich brauche aber jemand, der mir beim Packen hilft und ein Pferd für mich sattelt.« Otfrieds Stimme nahm einen hysterischen Klang an.
    Die Magd zuckte mit den Schultern. »Außer uns beiden ist niemand mehr im Haus. Also wirst du dein Pferd selber satteln müssen. Was willst du
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