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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin
Autoren: Peter Prange
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Wie sehr hatte er sich danach gesehnt, dass Madeleine ihn mit ihren grünen Augen anschaute, und was für eine Qual war es nun, da sie es tat! Er hatte diese Hexe geliebt, sich nach ihr verzehrt wie nach keiner anderen Frau je zuvor. Seit er sie das erste Mal gesehen hatte, im Schloss des Barons de Laterre, war es, als habe er keinen eigenen Willen mehr. Wenn er aufwachte, galt ihr sein erster Gedanke, wenn er einschlief, sah er ihr Gesicht vor sich. Er war bereit gewesen, alles für sie hinzugeben, sein Vermögen, seinen Titel, seine Ehre. Doch sie hatte ihn verschmäht, seine Liebe zurückgewiesen, und als er sie bestürmte, ihn zu erhören, als er ihr sein Herz zu Füßen legte, hatte sie ihn zum Teufel gewünscht. Noch in derselben Nacht, da sie den Fluch aussprach, hatte er in den Armen einer Dirne von Roanne voller Entsetzen erkannt, dass dies keine leeren Worte waren: Sie hatte ihn verhext, ihn vergiftet, genauso wie ihre Tochter Sophie.
    Obwohl es ihn übermenschliche Anstrengung kostete, hielt erihrem Blick stand. Die Stunde war gekommen, da sie für ihr Verbrechen büßen würde. Bei der Klageerhebung hatte er dem Gericht angeboten, persönlich ihre Schuld zu beweisen, und sich zur Strafe der Wiedervergeltung eingeschrieben für den Fall, dass ihm dies nicht gelänge. Doch er war sich seiner Sache sicher. Er hatte in Madeleines Behausung ein Buch gefunden, das keinen Zweifel an ihrer Schuld erlaubte, ein dickleibiges, in Schweinsleder gebundenes Werk, aus dem sie ihr böses Wissen bezogen hatte, ein Herbarium, das neben der Beschreibung von Kräutern und anderen Pflanzen Hunderte von Rezepturen enthielt: gegen Harnzwang und Geistersehen, gegen Würmerfraß und den bösen Blick. Dieses Buch, mit dem sie versucht hatte, sich über andere Menschen zu erheben, würde nun, da es neben der Bibel auf dem Richtertisch lag, ihr Schicksal besiegeln.
    Als könne sie seine Gedanken erraten, wandte sie den Blick von ihm ab.
    »Ich rufe den Kläger in den Zeugenstand!«
    Der junge
Gentilhomme
erhob sich und trat vor den Richter.
    »Aus persönlichen Gründen hat der Zeuge gebeten, Stillschweigen über seinen Namen zu bewahren. Da er dem Gericht als Mann von Stand und Geblüt bekannt ist, wird dem Wunsch entsprochen.«
    Der Gerichtsdiener holte die Bibel, der Kläger hob die Hand zum Schwur, und mit dem Rücken zur Angeklagten, deren Blicke er in seinem Nacken spürte wie die Berührung von Eis, sprach er die Eidesformel.
    Dann nahm die Gerechtigkeit ihren Lauf.

4
     
    Dicke Regentropfen klatschten gegen die Fensterscheiben und rannen wie Tränen vor Sophies Gesicht herab. Die ganze Welt schien hinter einem grauen, undurchdringlichen Schleier aus Wasser und Nebel verborgen.
    Noch war im Schloss alles still. Seit Sophie aufgewacht war, saß sie am Fenster der kleinen Kammer, die man ihr am Ende des Gesindeflurs angewiesen hatte, und schaute zu, wie der neue Tag anbrach. Triefend von Feuchtigkeit, traten nach und nach die Bäume und Büsche des Parks aus den nächtlichen Schatten hervor, und jenseits des noch schwarzen Buchsbaumlabyrinths, in dem Sophie so oft gespielt hatte, konnte sie an der Grenze zu den Wiesen in dem milchigen Nebel allmählich die Weiden erkennen, die dort einsam im Wasser standen und die Zweige kraftlos herabhängen ließen, als wären sie tot.
    Wo war ihre Mutter? Baron de Laterre, der Sophie zu sich genommen hatte, war allen ihren Fragen ausgewichen, genauso wie Louise, die älteste Zofe auf dem Schloss, in deren Obhut der unverheiratete Baron Sophie zurückgelassen hatte, als er in aller Eile mit der Auskunft nach Paris aufgebrochen war, er wolle in der Hauptstadt dafür sorgen, dass Madeleine bald wieder frei sei.
    Wie viele Stunden, wie viele Tage waren seitdem vergangen? Ohne Gefühl für die Zeit saß Sophie am Fenster, schaute hinaus in den Park und versuchte, den dunklen, verschlungenen Pfaden des Labyrinths nachzuspüren. Auf dem Schloss ging es ihr besser als je zuvor in ihrem Leben, sie hatte ein eigenes Federbett und dreimal am Tag konnte sie essen, soviel sie wollte, und doch hatte sie noch nie zuvor so sehr gelitten. Wie viel lieber wäre sie auf ihrem Strohsack als in den weichen Kissen aufgewacht, wie viel lieber hätte sie statt Braten und Kompott ihren täglichen Hirsebrei gegessen! Soweit sie zurückdenken konnte, war sie nie länger als einige wenige Stunden von ihrer Mutter getrennt gewesen. Madeleine hatte sie abends ins Bett gebracht und morgens geweckt, und jede Mahlzeit des
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