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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin
Autoren: Peter Prange
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das Schloss des Barons de Laterre, auf dem Sophies Mutter als Näherin arbeitete, erhob sich mit seinen zinnenbewehrten Türmen vor den Bergen so machtvoll über das Land, als wolle es alles Leben, das sich darauf regte, unter seinen Schutz nehmen.
    »Ist das nicht ein Tag, um glücklich zu sein?«, fragte Madeleine und drückte Sophies Hand.
    »Meinst du?«, fragte Sophie zurück. Sie spürte immer nochein leises Grummeln im Magen, trotz der Medizin. Außerdem lag ihr noch eine Frage auf der Seele, die sie ihrer Mutter unbedingt stellen musste, bevor sie die Kirche erreichten. Doch wusste sie nicht, wie sie es anfangen sollte. Darum erwiderte sie nur: »Monsieur l’Abbé hat gesagt, die Menschen sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein.«
    »Wer soll das dem Abbé glauben?« Madeleine lachte. »An einem solchen Tag?«
    Sophie blieb stehen und schaute ihre Mutter an. Obwohl Madeleine das hässliche Schandlinnen trug, das sie immer in der Kirche tragen musste, strahlten ihre grünen Augen, als könne nichts auf der Welt ihr etwas anhaben, und an ihrem Hals flatterte das bunte Seidentuch, das Dorval ihr bei seinem letzten Besuch geschenkt hatte. Also fasste Sophie sich ein Herz.
    »Mama …«, sagte sie zögernd.
    »Ja, mein Schatz?«
    »Führst du mich heute zur Kommunion, wenn ich die Prüfung bestehe? So wie die anderen Eltern ihre Kinder auch?« Ihre Mutter strich ihr über das Haar. Plötzlich war die Fröhlichkeit aus ihrem Gesicht verschwunden.
    »Ach, Sophie, du weißt doch, dass das nicht geht. Abbé Morel hat mich von den Sakramenten ausgeschlossen.«
    »Bitte, ich wünsche es mir so sehr. Ich möchte nicht als Einzige allein zur Kommunionbank gehen.«
    »Der Pfarrer wird mich aber davonjagen, und dann ist es viel schlimmer.«
    »Père Jaubert darf auch nicht zur Kommunion, und Abbé Morel hat ihm Ostern trotzdem die Hostie gegeben.«
    »Père Jaubert ist der Küster, da drückt der Pfarrer ein Auge zu.«
    »Père Jaubert hat auf den Friedhof gepinkelt, und das ist viel schlimmer als nicht verheiratet sein.«
    »Ach Sophie, ich bin doch bei dir in der Kirche. Denk einfach daran, dass ich hinter dir stehe und alles sehe, was du tust.«
    »Das ist nicht dasselbe.« Sophie musste die aufsteigenden Tränen unterdrücken. »Bitte, Mama. Wenn du nicht mitkommst, dann will ich auch nicht zur Kommunion.«
    Madeleine erwiderte ihren Blick. Dann gab sie sich einen Ruck und sagte:
    »Du meinst, wir sollten es wenigstens versuchen?« Sophie nickte, so heftig sie konnte. Mit einem Lächeln griff Madeleine nach ihrer Hand.
    »Na gut. Dann nehmen wir uns also an Père Jaubert ein Beispiel.«
    Als sie wenige Minuten später die Kirche betraten, war das kleine Gotteshaus bereits zum Bersten voll. Überall zappelten aufgeregte Kinder an den Händen ihrer Eltern. Mit einem Anflug von Stolz stellte Sophie fest, dass sie als einziges Mädchen ein weißes Kleid trug. Neben den anderen Kindern, die in ihren braunen und grauen Kitteln wie kleine erwachsene Bauern wirkten, sah sie wirklich aus wie ein Engel.
    Sie tauchte die Fingerspitzen ins Weihwasserbecken und schlug das Kreuzzeichen. Doch als sie mit ihrer Mutter durch das Kirchenschiff nach vorne ging, erhob sich ein Gezischel, als hätte jemand ein Geheck Vipern zwischen den Bänken ausgesetzt.
    »Dass die sich traut, sich hier blicken zu lassen!«
    »Schau nur, das bunte Tuch! So eine eitle Person!«
    »Und wie sie ihre Tochter herausgeputzt hat!«
    In der dritten Bank war noch Platz. Als Madeleine und Sophie sich mit einem Knicks vor dem Altar verneigten, rückten ihreNachbarn so weit zur Seite, als hätten sie Angst, sich anzustecken. Sophie fühlte sich plötzlich ganz schwach.
    »Dominus vobiscum!«
    »Et cum spiritu tuo!«
    Zum Glück fing in diesem Augenblick das Hochamt an. Die Gemeinde erhob sich, und gefolgt von vier Messdienern nahm Abbé Morel in seinem alten, zerschlissenen Ornat am Altar seinen Platz ein. Während er mit hoher Fistelstimme das Kyrie sang, zischte jemand hinter Sophie:
    »Rotes Haar und Sommersprossen …«
    Wütend schaute sie sich um. Joseph Mercier, der Sohn eines Tagelöhners, grinste sie mit platzrundem Frechgesicht an. Er war der dümmste Junge im ganzen Dorf, niemand wusste das besser als Sophie. Im Auftrag des Pfarrers, der selber kaum mehr als seinen eigenen Namen schreiben konnte, leitete sie dreimal in der Woche den Unterricht der Dorfkinder und versuchte, ihnen mit Hilfe des Marienkalenders das Lesen beizubringen. Joseph konnte
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