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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin
Autoren: Peter Prange
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Bereitschaft, sehnlichste Erwartung, den Leib des Herrn zu empfangen.
    Da aber passierte das Unfassbare. Kaum berührte die Hostie ihre Zunge, krampfte sich Sophies Magen zusammen, ein heftiger, unwiderstehlicher Reiz, der ihre Gedärme erfasste, würgte in ihrem Schlund, höher und höher hinauf. Bevor sie die Hände zum Mund führen konnte, entleerte sich ihr Magen in einem fürchterlichen Schwall.
    Ein Aufschrei erfüllte das Gotteshaus.
    Als Sophie zu Bewusstsein kam, sah sie an ihrem weißen Kleid hinab. Der riesige Fleck, der ihren Schoß bedeckte, war schwarz wie kranke Galle.

3
     
    »Die Näherin Madeleine Volland, gebürtig und wohnhaft im Kirchspiel Beaulieu, wird beschuldigt, gegen den Glauben und den gemeinen Nutzen des Staatswesens gehandelt zu haben, indem sie die schwarze Kunst an ihrer Tochter Sophie ausgeübt und diese durch Verabreichung eines magischen giftigen Tranks veranlasst hat, am Tage ihrer ersten heiligen Kommunion den Leib des Herrn zu erbrechen, in Gegenwart des amtierenden Pfarrers sowie der versammelten Gemeinde.«
    Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, als der königliche Landrichter die Anklage verlas. Sein altes, von den Jahren zerfurchtes Gesicht blieb während des Vortrags so teilnahmslos wie das Gesetz selbst, nur ab und zu verrutschte auf seinem Schädel die Perücke, deren Sitz er jedes Mal mit derselben, schon tausendmal wiederholten Bewegung seiner Linken korrigierte, ohne im Redefluss innezuhalten. Alle Augen waren auf die Angeklagte gerichtet, die erhobenen Hauptes, doch mit gefesselten Händen vor ihm stand, flankiert von zwei Bütteln.
    Im Publikum saß ein junger Mann, der sich durch sein vornehmes Gewand auffallend von den übrigen Zuschauern im Saal unterschied, ein
Gentilhomme
von achtzehn Jahren, Spross einer der glänzendsten Familien Frankreichs und Mitglied mehrerer Akademien. Mit bitterer Genugtuung lauschte er der Rede des Richters, jedes Wort einzeln in sich aufnehmend wie ein Kranker die Tropfen einer Arznei, derer er zur Linderung übergroßer Schmerzen bedarf. Aufmerksam suchte er nach einer Regung im Gesicht der Angeklagten,doch vergebens: Diese Frau, die nicht das geringste Zeichen von Reue zu erkennen gab, hatte ihm das schlimmste Verbrechen zugefügt, das eine Frau einem Mann überhaupt antun konnte. Er war so angespannt, dass er fortwährend seinen Hut auf den Knien drehte, einen schwarzen, breitkrempigen Hut, der mit einem roten Federbusch verziert war.
    Er selbst hatte Madeleine Volland beim Gericht von Roanne angezeigt, noch am selben Tag, da sich der unerhörte Vorfall in der Dorfkirche von Beaulieu ereignet hatte, um ihr das Unrecht zu vergelten, das er durch sie erlitten hatte. Dafür hatte er sogar mit seinem Gastgeber gebrochen, dem Baron de Laterre, der ihn beschworen hatte, auf die Klage zu verzichten. Doch als Jurist, der bei den hervorragendsten Gelehrten des Landes studiert hatte, wusste der junge Mann das Recht auf seiner Seite. Im Jahre 1682 hatte ein königliches Edikt »alle Taten von Magie oder Aberglauben« unter Strafe gestellt, desgleichen »das Sagen und Tun von Dingen, die nicht natürlich erklärt werden können«, und schließlich die Todesstrafe für Gotteslästerungen erlassen, die im Zusammenhang mit »eingebildeten magischen Wirkungen oder Täuschungen ähnlicher Art« begangen wurden. Diese Gesetze waren nach wie vor in Kraft.
    Der Richter rückte seine Perücke zurecht und wandte sich an die Angeklagte.
    »Madeleine Volland, bekennst du dich schuldig, die vorgetragenen Verbrechen begangen zu haben?«
    »Ich bekenne mich schuldig zu leben. Sonst habe ich nichts verbrochen.«
    Ein empörtes Gemurmel erhob sich im Saal, ein paar Zuschauer lachten. Der Richter klopfte mit einem Hammer auf den Tisch, um die Ruhe wiederherzustellen.
    »Wo ist meine Tochter?«, fragte Madeleine in die Stille hinein.
    Sie drehte sich um und schaute ins Publikum. Ruhig, ohne mit der Wimper zu zucken, fasste sie die Zuschauer ins Auge, einen nach dem andern, als hoffe sie, Sophie zwischen ihnen zu entdecken. Der junge Mann spürte, wie ihm der Mund austrocknete, während die Augen der Angeklagten sich immer mehr in seine Richtung bewegten, doch er war entschlossen, nicht zu weichen.
    Plötzlich trafen sich ihre Blicke. Im gleichen Moment verengten sich Madeleines Augen zu zwei Schlitzen, und aus diesen Schlitzen blitzte ihm ein solcher Hass entgegen, als würde eine Schlange ihm ihr Gift ins Gesicht schleudern.
    Leise stöhnte er auf.
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