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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin
Autoren: Peter Prange
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und Gliedern so schwer wie Blei.
    Als sich am Abend die Dämmerung über das Dorf legte, wie erschöpft von einem allzu langen Tag, traf ein eiliger Reiter auf dem Richtplatz ein. Es war Baron de Laterre, er kam direkt aus der Hauptstadt Paris. Er reckte den Arm in die Höhe und schwenkte in der Hand eine vom Parlamentspräsidenten unterzeichnete Verfügung, wonach das Urteil des Landgerichts Roanne, wie immer es ausfallen mochte, nicht zu vollstrecken sei.
    Doch zu dieser späten Stunde lag der Dorfplatz von Beaulieu so verlassen da wie die Welt am Abend des Jüngsten Gerichts. Nur ein paar dunkle Gestalten suchten in der Asche nach verkohlten Gebeinen der Hingerichteten. Es hieß, solche Reliquien brächten Glück, und vielleicht konnte man sie ja verkaufen.

7
     
    »Rotes Haar und Sommersprossen sind des Teufels Volksgenossen!«
    »Komm, hör nicht auf sie!«
    Abbé Morel nahm Sophies Hand und zog sie fort. Wie dankbar war sie, dass er sie vor den anderen Kindern schützte, die am Dorfrand hinter ihr her riefen. Immer hatte sie geglaubt, der Pfarrer könne sie nicht leiden, weil sie wusste, dass er nicht richtig lesen konnte. Aber sie hatte sich geirrt. Abbé Morel war ihr nicht böse, er war nur streng – er hatte für die Zulassung zur Erstkommunion ja auch das lateinische Glaubensbekenntnis verlangt, während in allen anderen Gemeinden das französische Vaterunser genügte. Jetzt war dieser strenge Mann wie ein Vater zu ihr, ihr Beschützer und Freund, der einzige Mensch, der außer Baron de Laterre noch zu ihr hielt. So fest sie konnte, drückte sie seine große schwere Hand und sah zu ihm auf. Sein Salamandergesicht bekam noch ein paar Runzeln mehr, als er ihr Lächeln erwiderte, und seine Lippen entblößten die gelben Zähne.
    Ohne sich umzudrehen, ließen sie Beaulieu hinter sich, undentlang der Loire, über die ein wolkenloser Sommerhimmel wieder sein klares, tiefes Blau ausbreitete, entfernten sie sich immer weiter von dem Dorf, in dem Sophie geboren und aufgewachsen war. Auf dem Schloss konnte sie nicht länger wohnen; als sie vor zwei Tagen mit Blut zwischen den Schenkeln aufgewacht war, hatte die Zofe Louise zu ihr gesagt, nun sei sie eine Frau und man müsse eine andere Unterkunft für sie finden. Noch am selben Morgen hatten der Baron und der Pfarrer beschlossen, sie ins Kloster zu bringen. Dort sollte sie bleiben, bis sie selber für sich sorgen konnte.
    »Wer war der Mann mit dem Federhut?«, fragte Sophie. Sie hatten den Gemeindeanger erreicht. Abbé Morel blieb stehen und zog ein Schnäuztuch aus dem Ärmel seiner Soutane. Auf seiner Stirn stand der Schweiß in dicken Tropfen.
    »Es ist besser, wenn du den Namen nicht weißt.«
    »Der Mann war Gast auf dem Schloss – wo ist er jetzt?«
    »Trachte nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, und so wird dir alles zufallen«, erwiderte der Abbé. Mit einem Seufzer wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Was ist das nur für eine unerträgliche Hitze!«
    »Warum wollen Sie es mir nicht sagen?« Sophie schaute ihn an, doch im Gesicht des Abbés regte sich keine Falte, während er das Tuch wieder in seiner Soutane verschwinden ließ.
    »Die Leute behaupten, ohne ihn würde meine Mutter noch leben. Stimmt das?«
    »Alle Menschen sind Werkzeuge Gottes. Sein Wille geschehe!« Der Pfarrer strich ihr über das Haar. »Du sollst nicht so viel fragen«, fügte er sanft hinzu. »Lieber solltest du weinen und für die Seele deiner Mutter beten. Oder ist dein Herz etwa verhärtet?«
    Sophie gab keine Antwort. Schweigend gingen sie weiter einekleine Anhöhe hinauf. Der Weg war staubig, als hätte ihn nie ein Tropfen Regen benetzt. Sophie empfand die Landschaft wie ein Abbild ihrer Seele: eine ausgedörrte Ödnis, in der alle Tränen versiegt waren. War ihr Herz darum verhärtet? Wenn sie an die Hinrichtung dachte, sah sie immer nur die graue Katze vor sich, wie sie in weiten Sätzen vor dem Feuer floh. An das Bild ihrer Mutter auf dem Gerüst konnte sie sich nicht mehr erinnern. Es schien für immer aus ihrem Gedächtnis gelöscht.
    »Es ist alles meine Schuld«, sagte sie leise. »Der Heiland wollte nicht in meiner Seele wohnen.«
    »Nein, Sophie«, erwiderte Abbé Morel streng. »Deine Mutter ist an ihren eigenen Sünden zugrunde gegangen. Sie hat Gott versucht und sich mit den Mächten des Bösen eingelassen. Darum musste sie sterben.«
    »Es war doch meine Schuld, dass sie mich zum Altar führte. Sie selber wollte ja gar nicht.«
    »Du darfst so
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