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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin
Autoren: Peter Prange
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hatten und den lieben langen Tag so heftig diskutierten, als müssten sie ganz Frankreich regieren. Als einfache Kellnerin hatte sie keine Ahnung, was die Philosophen für Männer waren oder was sie taten – einen richtigen Beruf schienensie nicht zu haben –, doch immer, wenn sie an ihren Tischen bediente, fühlte sie sich noch jünger, als sie ohnehin war, und in ihrem Nacken kribbelte es wie ein ganzer Schwarm Mücken. Geradeso wie jetzt, als Diderot sie mit seinen unglaublich hellen blauen Augen anschaute, ein freches Grinsen auf den Lippen, und sein kleiner Kopf mit dem blonden Schopf auf den breiten Lastenträgerschultern ruckte wie ein Wetterhahn auf einem Kirchturm.
    »Sie sagten, Sie hätten noch einen Wunsch?«, fragte sie, so streng sie konnte.
    »Richtig!«, rief er, und sein Grinsen wurde noch eine Spur unverschämter. »Hast du heute Abend etwas vor?« Ohne eine Antwort zu geben, kehrte Sophie ihm den Rücken zu und ging zum Büfett.
    Was war nur mit den Männern? Schon in der Tabakschenke, in der sie früher gearbeitet hatte, einer verräucherten Höhle im Faubourg Saint-Marceau, hatten sie ihr nachgestellt, aber das waren nach Branntwein stinkende Kutscher, Soldaten oder Kloakenreiniger gewesen, und Sophie wusste, wie man mit ihnen umgehen musste. Doch hier? Wenn die gelehrten Herren im »Procope« solche Reden führten, dann lag es wahrscheinlich an den hitzigen Getränken, die sie in ungeheuren Mengen tranken – vor allem am Kaffee, der solches Herzrasen machte. Ihr Aussehen, dachte Sophie, könne der Grund jedenfalls nicht sein. Sie fand sich mit ihren struppigen roten Haaren, den tausend Sommersprossen und den grünen Augen alles andere als hübsch.
    Am Büfett stellte sie das Geschirr bereit, um die Bestellungen auszuführen. Von hier konnte sie das ganze Lokal übersehen, während sie aus großen offenen Kannen der Reihe nach Tee, Kaffee und Schokolade in die Tassen füllte. Die Abendvorstellungim Theater gegenüber hatte gerade erst begonnen, sodass die Tische nur zur Hälfte besetzt waren, und doch herrschte in dem Saal ein Geschnatter wie auf dem Wochenmarkt. Zwei Jahre war Sophie inzwischen in Paris, doch sie staunte immer noch, wie schnell die Leute hier sprachen, doppelt so schnell wie in ihrer Heimat, und alle redeten auf einmal, als hätten sie Angst, ihre Sätze nicht zu Ende zu bringen, bevor die anderen ihnen ins Wort fielen. Ob sie hier wohl jemals das Glück fand, von dem sie träumte? Einen einfachen rechtschaffenen Mann, der sie ein bisschen lieb hatte und sie in den Hafen der Ehe führte?
    Sophie stellte die Kanne mit der heißen Schokolade ab und brachte ihr Tablett an den Tisch.
    »Bitte sehr, Monsieur Diderot. Mit viel Vanille und Zimt.«
    »Danke, Mirzoza.« Er nahm die dampfende Tasse und führte sie an die Lippen. »Hast du inzwischen nachgedacht, wo wir zwei uns amüsieren? Im Ambigu-Comique geben sie
Tartuffe.
    Oder magst du lieber tanzen?«
    Während er mit einer Inbrunst seine Schokolade trank, als schlürfe er Nektar, blickte er sie über den Rand der Tasse an. Sophie spürte plötzlich wieder den Mückenschwarm in ihrem Nacken, und für eine Sekunde durchströmten ihren jungen Leib jene seltsamen Gefühle, die ihr manchmal im Kloster die Sinne verwirrt hatten, in langen Nächten sehnsuchtsvoller Einsamkeit.
    »Nun?« Diderot stellte die Tasse ab, seine Oberlippe zierte jetzt ein feiner Schnurrbart. »Wann soll ich dich abholen?«
    Sophie nahm das Ende ihrer Schürze und wischte ihm die Spuren der Schokolade aus dem Gesicht.
    »Statt ins Theater oder zum Ball sollten Sie lieber zum Barbiergehen, Monsieur Diderot! Oder rasiert man sich in Ihrer Märchenwelt etwa nicht?«
    Unter dem Gelächter der anderen Philosophen hob sie ihr Tablett vom Tisch und ging weiter.
    Dieser Diderot hatte ihr gerade noch gefehlt!

3
     
    Zusammen mit dem Strom der Theaterbesucher, die wenig später in das »Procope« drängten, betrat Antoine Sartine das Lokal: ein akkurat gekleideter junger Mann mit freundlichem Dutzendgesicht und gepflegten Manieren, der ganz den Eindruck erweckte, als habe er sich soeben glänzend amüsiert. Den Dreispitz in der Hand, blickte er einmal in die Runde und nahm dann wie fast jeden Abend an einem Einzeltisch nahe der Tür Platz, so angenehm und unauffällig in der Erscheinung, dass sein Kommen von kaum einem Gast registriert wurde.
    Das war ganz in seinem Sinn. Denn Antoine Sartine frequentierte nicht zum Vergnügen das Café »Procope«, er ging hier
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