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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin
Autoren: Martin Davies
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den Stamfords Verwalter. Dieser Matthew Fox hatte einen Sohn namens Henry, der mit den Stamford-Kindern aufwuchs. Alle kannten die Geschichte des ausgestopften Vogels, den Matthew in seinem Haus hatte. Und Matthew Fox ist auch der alte Mann, den John Stamford in seinem Brief erwähnt. Er starb, während John an der Front war.«
    »Und Martha Stamford hat den Vogel in Gewahrsam genommen?«
    »Genau. Zwischen ihr und Henry Fox, dem Sohn des alten Mannes, bestanden damals schon zarte Bande. Die beiden waren zusammen aufgewachsen. Er ist der ›junge Vulpes‹, von dem am Ende des Briefes die Rede ist.«
    »Ein junger Fox...« Katya lächelte. »Meinst du, John Stamford hat sich Sorgen gemacht, weil er um seine Schwester herumstrich?«
    »Schwer zu sagen, aber so, wie er von ihm spricht, klingt es eigentlich nicht ablehnend.«
    »Und bei Kriegsende?«
    »Hat Martha den Vogel zurückgegeben. Henry Fox war in Frankreich, als sein Vater starb. Aber der Vogel hat ihm gehört, und deshalb wurde er nicht mit den anderen Sachen aus dem Old Manor versteigert. Als sich nach dem Krieg die Wogen geglättet hatten, haben Henry und Martha geheiratet. Sie war zu einer Kusine nach Cornwall gezogen, und er hat sich auf die Suche nach ihr gemacht. Der Verlust des Familienvermögens war ihr Glück, könnte man sagen. Ohne den Krieg hätten sie wahrscheinlich nie wieder zusammengefunden.«
    Dann schwiegen wir und sannen über die Wechselfälle des Schicksals nach. Die Felder blieben nach und nach zurück, und wir kamen in die Außenbezirke der nächsten Stadt. Nach ein paar Minuten hielt ich vor einer Zeile gepflegter zweistöckiger georgianischer Reihenhäuser an, die nicht weit vom Zentrum versteckt in einer ruhigen Straße lagen.
    »Hier ist es. Hier sind die letzten Stamfords gelandet.«
    Auf dem Bürgersteig lungerte eine etwas zwielichtig wirkende Gestalt mit einer selbst gedrehten Zigarette im Mund herum. Ich erkannte Bert Fox, der dem Wetter mit einer ausgebleichten Baseball-Kappe und einem grauen, leicht ausgebeulten Mantel trotzte. Der Mantel stand offen, und darunter sah man ein T-Shirt und eine Lederweste. Berts silberweißer Pferdeschwanz wurde von der Kappe heruntergedrückt und verschwand im Mantelkragen.
    »Ich rauche hier nur schnell eine«, erklärte er, als ich ihm Katya vorstellte. »Meine Mutter mag’s nicht, wenn ich im Haus rauche.« Er ließ den Stummel fallen und trat ihn mit der Fußspitze aus. »Sie wird Ihnen gefallen«, sagte er zu Katya. »Bei ihr gibt’s immer was zu lachen.«
    Wir gingen hinein. Der Flur sollte seiner Anlage nach geräumig wirken, war aber bis auf den letzten Winkel voll gestellt. Aus einem Schirmständer an der Tür sprossen Krückstöcke, altmodische Spazierstöcke und zwei sehr lange afrikanische Speere. Ein kleiner Tisch daneben war mit kleineren Gegenständen bedeckt: einer Zigarrenkiste, einem Aschenbecher mit Feuerzeug, einer Porzellanschale, einer goldgerahmten Fotografie, einem Ebenholzkamel. Die Wände hingen von Hüfthöhe aufwärts so voller Bilder, dass von der Tapete kaum noch etwas zu erkennen war: Aquarelle, Miniaturen, gerahmte Fotos und einige große Ölporträts, die zwischen ihren Nachbarn so schwerfällig wirkten wie Ozeandampfer inmitten einer Flottille kleiner Schiffe.
    »Mum!«, rief Fox, als er die Tür hinter uns schloss. »John ist wieder da. Erinnerst du dich? Wegen des Vogels. Hat eine Freundin mitgebracht.«
    Wir hängten unsere Mäntel über die Spazierstöcke und wurden ins Wohnzimmer geführt. Es war voll gestellt wie der Flur, wirkte aber irgendwie harmonischer. Inmitten des Durcheinanders, winzig unter einer rosa Decke in einem breiten grünen Sessel, saß die Frau, deren Brief den Glauben an den Ulieta-Vogel in uns geweckt hatte. Inzwischen war sie alt - so alt, dass wir gar nicht auf die Idee gekommen waren, sie könnte noch leben -, doch Martha Stamford war zu einer heiteren, lachenden alten Dame geworden. Umgeben von Andenken an eine andere Epoche, war sie selbst quicklebendig, und man konnte kaum glauben, dass sie noch mit Männern auf Fronturlaub aus Passchendaele geflirtet und getanzt hatte.
    Sie begrüßte Katya mit einem Nicken und winkte sie nahe heran, um ihr Gesicht erkennen zu können.
    »Albert sagt, Sie kommen aus Schweden.«
    »Ja, das stimmt. Aus der Nähe von Stockholm.«
    »Herzlich willkommen. Das muss ja schön für Sie sein, den Winter hier zu verbringen«, spann sie ihre Gedanken. Dann sah sie zu mir auf.
    »Sie wollen ihn sich noch
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