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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin
Autoren: Martin Davies
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überwiegend lebte. Es war ein unaufgeräumter, gemütlicher Raum mit warmer Beleuchtung, in dem es nach altem Papier roch. Das Bett war notorisch ungemacht, der Schreibtisch mit Notizen für ein Buch übersät, an dem ich gar nicht richtig schrieb. Einige der Zettel waren ziemlich eingestaubt. Eine ganze Wand wurde von Regalen mit sorgfältig geordneten Büchern eingenommen, aber ich brauchte nirgendwo nachzuschlagen, um zu wissen, dass Gabriella nicht übertrieb. Trotz seines Namens war der Vogel sehr real, zumindest war er es einmal gewesen. Ich hatte mir sogar schon Stichworte für einen Artikel über ihn gemacht, damals, als ich im Begriff stand, berühmt zu werden.
    Und jetzt, all die Jahre später, wollte sie mit mir darüber reden. Sie und ihr Freund Karl Anderson. Ich hatte einmal ein Foto von den beiden gesehen, das ein gemeinsamer Freund vor ungefähr drei Jahren bei einer der großen Sommervorlesungen in Salzburg aufgenommen hatte. Sie stand darauf ganz leicht auf seinen Arm gestützt, noch immer dunkel, schlank und ruhig, noch immer mit dem vertrauten, halb fragenden Lächeln.
    Ich setzte mich aufs Bett und betrachtete nachdenklich die kleine Truhe in der Ecke. Was die beiden wissen wollten, war vermutlich darin, zusammen mit all dem anderen: dem Dodo, dem Präriehuhn, der Wandertaube, dem Verschwundenen und Vergessenen - alles durcheinander, Jahre hingeworfener Notizen und Beobachtungen, die noch darauf warteten, Gestalt anzunehmen.
    Doch anstatt daran zu denken, dachte ich an Gabriella und den Mann, dem sie mich vorstellen wollte. Ich hatte im Lauf der Jahre viel über ihn gelesen, aber alles, was ich wusste, lief im Grunde auf dreierlei hinaus: Karl Anderson war berühmt dafür, dass er Dinge aufspürte; er war gewohnt zu bekommen, was er wollte; und inzwischen war er viel zu erfolgreich, um seine Forschungen noch selbst durchzuführen, es sei denn, der Einsatz war sehr hoch.
    Ich war mir nicht sicher, ob mir das gefiel.
    Ich schaute auf die Uhr: gerade noch Zeit fürs Pub.
     
     
    Reisen beginnen auf vielerlei Art. Cook selbst, ein Mann, der wusste, was es hieß, sich auf eine lange See-Expedition vorzubereiten, redete Joseph Banks zu, noch einmal nach Revesby zurückzukehren, bevor das Schiff auslief. Und so begab sich Banks im Sommer 1768, zwei Monate vor seiner Abreise, nach Lincolnshire, heim zu den Wäldern und Feldern, die er vor sich sehen sollte, wenn er in den folgenden drei Jahren an zu Hause dachte.
     
    Die Sommer, ehe die Endeavour in See stach, erschienen ihr einsamer als die Winter. Jeder Sommertag, den sie allein verbrachte, war von einem Gefühl vergeudeter Freude geprägt. Da begann sie, gegen ihre ungewisse Zukunft anzumalen, als könnte sie die Tage mithilfe von Einzelheiten einfangen und bewahren. Der Venusdurchgang, den zu beobachten Banks die weite Reise unternahm, bedeutete ihr weniger als das Vorüberziehen der Jahreszeiten in den Wäldern von Revesby.

2
    Freitag im Mecklenburg Hotel
    Es schüttete, als ich am Mecklenburg Hotel ankam. Ich hatte den Bus bis Oxford Circus genommen und war nass und außer Atem, aber wenigstens pünktlich. Das Hotel war ein hässlicher Kasten, außen Beton und hinter der Drehtür teurer, pseudoedwardianischer Stil. Etwas enttäuscht blieb ich einen Moment in der Lobby stehen und tropfte den Teppich voll. Dann folgte ich in plötzlicher Verlegenheit dem Schild zur Herrentoilette, wo ich mir die Haare abtrocknete und wieder halbwegs in Form strich. Als ich damit fertig war, sah ich zwar besser aus, war aber immer noch zu salopp gekleidet. Im Vergleich zu meinen Kollegen an der Universität fand ich mich meistens einigermaßen schick, hier aber wirkte ich wie jemand, der womöglich Handtücher klaute.
    Ich blieb eine Weile vor dem Spiegel stehen, um mich zu sammeln. Was mochte Anderson von mir wollen? Der Vogel von Ulieta war ein Rätsel, ein Zaubertrick der Natur, ein Wesen, das wie auf einen Wink hin verschwunden war. Und es war ein endgültiges Verschwinden, eines ohne Wiederkehr. Das Publikum konnte nur noch nach Federn suchen, die längst nicht mehr existierten. Daran vermochte nicht einmal Anderson etwas zu ändern.
    Oben in der Rosebery Bar roch es trotz des Zigarettenrauchs nach Parfüm und Leder. Aber nicht nach dem ausgedörrten Leder meiner Jacke und meiner Schuhe - das hier war neues, teures Leder, weich duftend. Es machte mir den Regengeruch bewusst, den ich mit hereingebracht hatte. Unter den trockenen, gepflegten Leuten hier war es
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