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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva
Autoren: Andrea Camilleri
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Glück, dachte er, dass sie nicht sehen kann, was sie mit mir anstellt.
    Und just in diesem Augenblick lehnte sich Signora Bianca ein wenig nach hinten, um ihr Gesicht zu begutachten, und berührte dabei mit den Schultern merklich, aber doch wie zufällig, Nenès Schwellung. Bestimmt hatte sie etwas gemerkt, aber sie reagierte nicht. Im Gegenteil, sie blieb genau in dieser Position und fuhr mit dem Schminken fort. Jedes Mal, wenn sie sich auch nur ein bisschen bewegte, verspürte Nenè einen Stich, sein Körper zuckte wie von Stromschlägen getroffen.
    Als er es nicht mehr länger aushielt, packte er Signora Bianca bei den Schultern, und jetzt war er es, der sich an ihr rieb. Er bewegte sich immer schneller. Als er fertig war, sagte Signora Bianca, die die ganze Zeit geschwiegen hatte: »Danke. Du kannst jetzt weiterlernen. Wenn du möchtest, kannst du noch ins Bad gehen, bevor Matteo kommt.« Und sie schminkte sich immer noch, als wäre nichts geschehen.
    Von dem, was Matteo ihm an diesem Vormittag erklärte, begriff er kein Wort. Am folgenden Tag bekam er in der Schule eine Fünf in Mathe.
     
    Zwei Tage später war es für Nenè wieder an der Zeit, zu seinem Freund Matteo zu gehen. Aber er hatte Angst. Was würde Signora Bianca wohl sagen?
    Er hatte sich wie ein Mistkerl benommen. Die arme Frau hatte ihn um einen Gefallen gebeten und dabei ganz offensichtlich an nichts Böses gedacht, und er hatte die Gelegenheit schamlos ausgenutzt und sie beleidigt. Signora Bianca hatte keine Miene verzogen, wahrscheinlich hatte sie sich völlig überrumpelt gefühlt. Aber wie konnte Nenè ihr jetzt noch einmal unter die Augen treten?
    Vor allem fühlte er sich seinem Freund gegenüber schlecht, der seine Zeit für ihn geopfert hatte. Sollte er ihm alles erzählen und sich bei ihm entschuldigen? Er wusste nicht, was er tun sollte, doch schließlich entschied er sich hinzugehen. Er wollte sehen, wie Signora Bianca sich verhielt. Wäre sie abweisend, würde er gleich wieder gehen und sich nie mehr dort blicken lassen.
     
    Als Matteo ihm die Tür öffnete, sagte er zu Nenè:
    »Mamà hat eine Überraschung für dich.«
    Nenè sah ihn ängstlich an, doch Matteo wirkte überhaupt nicht, als wäre er wütend. Auf dem Esszimmertisch stand eine Cassata siciliana.
    »Mamà hat sie heute Morgen für uns gekauft.«
    Mit einem Mal fühlte sich Nenè wieder rein und unschuldig, wie ein neugeborenes Kind. Signora Bianca war eine fabelhafte Frau! Die Cassata bedeutete, dass alles vergessen war.
    »Ich will mich bei ihr bedanken.«
    »Sie ist nicht da, sie ist nach Montelusa gefahren und kommt erst heute Abend zurück.«
    Am nächsten Tag bekam Nenè eine Zwei in Mathe.
     
    Als er eine Woche später zu den Argiròs kam, war die Tür wieder nur angelehnt. Er klingelte.
    »Nenè, bist du’s?«
    »Ja, Signora.«
    »Komm rein und mach die Tür zu. Ich habe Matteo in die Apotheke geschickt, er soll mir ein paar Medikamente besorgen. Ich fühle mich heute nicht wohl. Es wird ein bisschen dauern, bis er zurückkommt, er muss nach Montelusa fahren.«
    Nenè setzte sich an den Esszimmertisch und schlug das Buch auf. Aber schon bald rief Signora Bianca ihn zu sich.
    »Nenè, kannst du mal kommen?«
    Nenè betrat das Schlafzimmer. Signora Bianca lag auf dem Bett ausgestreckt, nur bedeckt von einem Laken, unter dem deutlich die Form ihres nackten Körpers zu erkennen war. Sie lehnte an zwei Kissen und hielt das Laken mit einer Hand vor der Brust fest. Nenè fand, dass sie gar nicht krank aussah, wie sie da lag. Im Gegenteil, ihre Wangen leuchteten, sie war frisiert und geschminkt, so als würde sie gleich ausgehen. Eine Wolke von Orangenblütenessenz umgab sie.
    »Leiste mir doch ein bisschen Gesellschaft. Komm, setz dich her zu mir.«
    Sie bedeutete ihm, sich neben sie zu setzen. Nenè wurde rot, gehorchte ihr aber. Dann fragte Signora Bianca:
    »Hast du schon eine Freundin?«
    Nenè wurde noch röter.
    »Nein.«
    »Aber wieso denn nicht? Ein so schöner junger Mann wie du!«, sagte sie und nahm seine Hand.
     
    Und so schlief Nenè zum ersten Mal in seinem Leben mit einer Frau. Aber es war auch das letzte Mal, dass er die Mathematikhausaufgaben bei Matteo machte. Er konnte seinem Freund nicht mehr in die Augen sehen, auch wenn er so riskierte, im Oktober nicht versetzt zu werden – was dann auch tatsächlich der Fall war.
     
    »Ciccio, ich habe mit einer Frau geschlafen.«
    »Na endlich! Und, hat es dir gefallen?«
    »Na ja.«
    »Was heißt ‹na
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