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Die Opfer des Inzests

Die Opfer des Inzests

Titel: Die Opfer des Inzests
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Madame Desplas mir das Haus.
    ›Das ist dein Zimmer. Du teilst es mit
Marine. Du kannst dich gleich schlafen legen oder mit mir wieder nach unten
gehen.‹
    Ich zog es vor, allein im Zimmer zu
bleiben. Es war ganz anders als meins. Es war sehr hübsch und mit zwei Betten
ausgestattet. Die Möbel waren ganz aus Holz. Auf einem der Betten ausgestreckt,
dachte ich sehr intensiv an meine Familie. Sicher hatte mich dort niemand mehr
lieb. Ich weinte, wurde wütend. Aber auf wen? Ich weiß es nicht mehr so genau.
    Als ich wieder aufwachte, hatte ich das
Gefühl, nur sehr wenig geschlafen zu haben. Und doch war es schon spät. Das
zweite Bett war benutzt worden. Ich hatte Marine weder kommen noch gehen
gehört.
    Ich ging nach unten. Alle saßen bereits
beim Frühstück und empfingen mich mit einem lautstarken ›Guten Morgen‹. Ich
antwortete so leise, daß ich kaum zu verstehen war. Sylvia zählte auf, was ich
alles zum Frühstück haben konnte.
    Mittags versammelte sich die ganze
Familie. Ich hatte noch nie so viele Personen an einem Tisch gesehen. Es gab
mehrere Gänge, anders als bei uns. Ich rührte kaum etwas an, wenngleich alles
köstlich aussah. Ich dachte an Mama. Ich hatte Tränen in den Augen und wäre am
liebsten davongelaufen. Alle redeten von ihrer Arbeit und ihren kleinen
Problemchen. Sie machten einen sehr verbundenen Eindruck. Sie versuchten, mich
in ihre Unterhaltung miteinzubeziehen, aber ich blieb stur und schwieg.
    Nach dem Essen kam Billy auf mich zu
und fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm an den Strand zu fahren. Es war schön
und warm draußen. Wir stapften durch den Sand. Ich erfuhr, daß Billy seit
mehreren Jahren bei den Desplas wohnte und an diesem Tag, am Spätnachmittag,
seine Pflegefamilie verlassen würde. Ich war sehr enttäuscht: Er war der
einzige, bei dem ich das Gefühl hatte, mit ihm kommunizieren zu können. Er
tröstete mich.
    ›Du wirst dich wohl fühlen bei den
Desplas. Sie haben mich mit offenen Armen aufgenommen und sind sehr geduldig
mit mir gewesen. Das werden sie auch mit dir sein, da bin ich ganz sicher. Sie
werden dir viel beibringen. Du wirst bei ihnen aufblühen, du wirst schon sehen.‹
    Ich hörte ihm zu, konnte aber nicht
anders, als innerlich zu rebellieren. Das war ja alles gut und schön, aber ich
hatte schon eine Familie. Sie war ganz anders als diese, ja. Aber es war meine!
    In der Schule versuchte ich, die
verlorene Zeit aufzuholen. Immerhin ging es mir besser. Bald würde man mir
erlauben, einen Tag zu Hause zu verbringen. Madame Furtel teilte mir mit, daß
ich am Morgen losfahren und abends wiederkommen würde. Die Richterin hatte es
mit meinen Eltern so entschieden.
    Am folgenden Sonntag fuhr ich nach Dax,
ganz allein, mit dem Zug. Ich war glücklich. Mein Vater zeigte sich etwas kühl,
aber das war mir gleich.
    Am darauffolgenden Wochenende der
zweite Besuch. Mein Vater war mir gegenüber schon etwas gesprächiger. Am Abend
erbot er sich sogar, mich mit dem Motorrad zurückzufahren, um das Geld für den
Zug zu sparen. Unterwegs fuhr er von der Straße ab und bog in einen Waldweg
ein. Er würde es wieder tun! Drohungen, Einschüchterungen... Der Alptraum
begann von vom. Mein Vater setzte mich, erstarrt und schockiert, auf einem
Parkplatz in der Nähe des Hauses der Desplas ab. Ich versuchte, meine Kleider
zu glätten und eine neutrale Miene aufzusetzen, ehe ich das Haus betrat.
    Sylvia ließ sich nicht täuschen:
    ›Ist es bei dir zu Hause schlecht
gelaufen? Was ist denn los? Du kannst dich mir ruhig anvertrauen, weißt du.‹
    ›Nein, alles in Ordnung. Ich gehe rauf
in mein Zimmer. Ich habe keinen Hunger.‹
     
    Ich war vier Wochen zuvor hergebracht
worden. Ich fühlte mich bei diesen Leuten immer noch so unwohl wie am Anfang.
Außerdem hatte sich für mich nichts geändert. Ich hing an meiner Familie, und
so besuchte ich sie jeden Sonntag. Mein Vater fand jedesmal eine Gelegenheit,
mich zu vergewaltigen. Es war ein Teufelskreis.
    Mit viel Geduld schaffte es Sylvia, daß
ich mich ihr anvertraute. Wütend auf meinen Vater informierte sie Madame
Furtel, die ihrerseits die Richterin unterrichtete. Fortan war es mir nicht
mehr erlaubt, nach Hause zu fahren. Wenn meine Familie mich sehen wollte, mußte
sie sich zu den Desplas bemühen.
    Einige Tage später erfuhr ich, daß mein
Vater verhaftet worden war und vor Gericht gestellt werden würde. Mama und ich
wurden vorgeladen.
    Im Gerichtssaal brach ich in Tränen
aus. Was würde geschehen? Ich hatte
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