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Die Opfer des Inzests

Die Opfer des Inzests

Titel: Die Opfer des Inzests
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Und sie, wie hatte sie es erraten?
    ›Du schenkst einer 15jährigen Göre eher
Glauben als deinem Mann?‹ fragte mein Vater. ›Begreifst du denn nicht, daß sie
lügt? Ich habe Sabine doch nicht angerührt!‹ Mama kam zu mir zurück. Ich
flehte sie an:
    ›Es muß weggemacht werden...‹
    Ja, ich weiß. Wir werden uns darum
kümmern.‹ Sie schloß mich in die Arme. Es tat gut, sich geliebt zu fühlen, aber
ich zitterte immer noch, ich hatte Angst vor ihrem Blick, nachdem sie alles
wußte. Ich fühlte mich schuldig.
    Am nächsten Morgen erkundigte Mama sich
wegen einer Abtreibung: ein völlig neues Wort für mich. Sie schien ganz
aufgeregt und bat mich, mit niemandem darüber zu sprechen, wozu ich ohnehin
nicht die geringste Lust hatte.
    Zwei Tage später fuhren wir mit dem Bus
nach Mont-de-Marsan.
    In einem großen Gebäude füllte Mama
Formulare aus. Die Dame am Empfang starrte mich die ganze Zeit an. Ich wollte
im Erdboden versinken. Mama erklärte mir, daß ein Schwangerschaftsabbruch
möglich sei. Ich war so glücklich wie nie zuvor. Aber bis zu meiner Einweisung
in die Klinik müßte ich noch eine Woche warten. Sieben Tage, in denen ich
dieses... Ding in mir behalten sollte... das abscheuliche Ding, das mein Vater
in mich gepflanzt hatte.
    In der Schule ertrug ich die Blicke der
anderen nicht.
    Als mein Vater am Abend von der Arbeit
kam, war er wütend, und sein Zorn richtete sich gegen mich. Als ich die Treppe
hinaufging, hörte ich ihn sagen, daß er mich mit seinem Gürtel verprügeln würde.
Ich geriet in Panik. Ich öffnete das Fenster. Ich hatte Angst davor zu
springen, aber noch größere Angst hatte ich vor meinem Vater. Egal, ich tat es.
Über das Fallrohr der Regenrinne gelangte ich nach unten.
    Das erste Mal, daß ich ausriß. Eine
Nachbarin hatte mich gesehen und überredete mich, nach Hause zurückzugehen.
    ›Ich weiß, daß es in deiner Familie
Probleme gibt, aber auf diese Art wirst du sie nicht lösen. Es wird sich alles
wieder einrenken. Lauf nicht weg!‹
    Warum habe ich den Mund gehalten? Die
Nachbarin brachte mich zurück. In ihrem Beisein schimpfte Mama ein wenig mit
mir. Papa sagte kein Wort.
    Am nächsten Morgen hatte ich
Unterleibsschmerzen. Auf der Toilette entdeckte ich riesige violette
Blutklumpen in meiner Unterhose. Ich lief schreiend und mit gespreizten Beinen
ins Wohnzimmer. Weitere warme Klumpen fielen aus mir heraus.
    Mama setzte mich auf ein Handtuch, ging
dann zum Telefon und rief Bernard an, damit er mich ins Krankenhaus brachte.
Ich wollte sterben. Ich wollte Schluß machen. Im Wagen registrierte ich, daß Bernard
mich im Rückspiegel beobachtete. Ich war sicher, daß er alles wußte.
    Im Krankenhaus brachte man mich in
einem Zimmer mit einem Haufen elektronischer Geräte unter. Mama durfte nicht
bleiben. Sie küßte mich überall, wieder und wieder. Die Trennung fiel uns
beiden sehr schwer. Ich weinte viel.
    Die ganze Nacht verursachte mir das
Gerät, das man in meine Vagina eingeführt hatte, Schmerzen. Aber noch mehr litt
ich unter der ganzen Situation. Ich hatte das Kind meines Vaters unter dem
Herzen getragen. Das war widerlich, unerträglich! Was würden die Leute von mir
denken? Was würde geschehen, nachdem ich die Klinik wieder verlassen hatte? Ich
wandte mich wieder an den lieben Gott:
    ›Warum hast du mir das angetan? Warum
ich? Ich hatte gehofft, du würdest mir helfen. Ich habe dich so darum gebeten!
Ich habe doch nichts Schlimmes getan. Glaube ich zumindest...‹
    Ich versuchte, mich zu beruhigen, denn
je mehr ich mich aufregte, desto schlimmer wurden die Schmerzen. Ich fand
keinen Schlaf. Ich konnte es kaum erwarten, daß die Krankenschwestern das Gerät
wieder entfernten.
    Am Morgen fragte mich eine von ihnen,
ob alles in Ordnung sei. Ich bombardierte sie mit vernichtenden Blicken. Sie
sollte mir besser verraten, wann ich aus dem Krankenhaus entlassen werden
würde.
    Ich wartete auf Mama. Aber sie kam
nicht. Keiner aus meiner Familie besuchte mich. Jedenfalls kann ich mich nicht
daran erinnern. Ob die Ärzte ihnen verboten hatten, mich zu besuchen? Ich
hoffte, daß das die Erklärung für ihr Wegbleiben war.
    Zwei Tage vergingen. Ganz allein in
meinem Zimmer litt ich unbeschreibliche Qualen und dachte viel nach.
    In den Wochen nach meiner Rückkehr nach
Hause versuchte ich mehrfach, mir mit Tabletten das Leben zu nehmen. Jedesmal
überlebte ich. Ich mußte also trotz allem am Leben hängen. An meinem
verpfuschten Leben!
    Das Gymnasium hatte genug von
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