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Die Opfer des Inzests

Die Opfer des Inzests

Titel: Die Opfer des Inzests
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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mir. Man
verwies mich an ein LEP (Lycée d’enseignement professionel). Ich wußte, daß die
Klassen dort aus Chaoten bestanden. Julien war bereits dort, aber bei ihm war
es anders. Hätten wir Geld gehabt, hätte er studieren können. Er wäre durchaus
dazu in der Lage gewesen. Er tröstete sich damit, daß er bald einen Job haben,
Geld verdienen und Mama finanziell unterstützen würde. Er hat den Fachbereich ›Büroangestellter‹
gewählt. Im nächsten Jahr würde ich die gleiche Fachrichtung wählen.
    Derweil herrschte zwischen Julien und
meinem Vater Krieg. Mama versuchte zu schlichten, aber eines Tages kam es
endgültig zum Bruch. Mein Bruder verließ das Haus und sagte, er würde uns nur
besuchen, wenn er nicht da sei. Mama weinte.
    Es war Frühling, und das Leben war
trist. Wir fuhren schon lange nicht mehr in Schwester Jeannes Ferienlager.
Sophie erzählte mir, daß Schwester Jeanne uns mehrmals besucht habe und
enttäuscht gewesen sei, mich nicht anzutreffen. Vor ihr behauptete Mama immer,
es wäre alles in bester Ordnung. Und dabei war ihr Gesicht von ihrem Leben
gezeichnet, gealtert. Ich verstand sie nicht. Für Schwester Jeanne war Mama so
etwas wie eine Tochter, und für mich war die alte Dame beinahe so etwas wie
eine Großmutter. Hätte ich ihre Adresse gehabt, ich hätte ihr geschrieben. Aber
Mama behauptete, sie habe die Anschrift nicht.
    Papa ließ mich nach der Fehlgeburt
einige Zeit in Frieden, dann nahm er seine nächtlichen Besuche wieder auf. Ich
schlief sehr wenig. Mama bemerkte meine Erschöpfung. Sie fragte mich, was los
sei, schien meinen Vater jedoch nicht mehr in Verdacht zu haben. Ich hoffte,
sie würde eingreifen. Mein Gott! Worauf wartete sie denn?
     
    Ich war 16. In der Schule lief es
denkbar schlecht. Ich mochte meine Lehrer und die neuen Fächer wie Buchhaltung,
aber ich war einfach unfähig, mich zu konzentrieren. Ich ging oft wegen
heftiger Kopfschmerzen auf die Krankenstation. Die Krankenschwester, Madame
Belin, erkannte, daß ich Probleme hatte, und stellte mir mit besorgt
gerunzelter Stirn Fragen. Ich fand sie so nett, daß ich schließlich den
Widerstand aufgab. Leise gestand ich ihr:
    ›Mein Vater tut ekelhafte Dinge mit
mir.‹
    Ich brach in Tränen aus. Sie wurde ganz
blaß, tröstete mich und versicherte mir, daß das Jugendamt mir helfen würde.
    Ich fuhr hoch wie von der Tarantel
gestochen: ›Nicht das Jugendamt! Ich habe es Ihnen gesagt, aber niemand sonst
darf davon erfahren, sonst bringt mein Vater mich um!‹
    ›So kann es nicht weitergehen, Sabine.
Ich kann als Krankenschwester, aber auch als Frau und Mutter nicht schweigen.‹
    Ich lief weg und versteckte mich. Ich
hatte eine wichtige Entscheidung zu treffen, soviel stand fest. Nach einer
Weile faßte ich einen Entschluß. Also gut, ich würde mit einer Sozialarbeiterin
sprechen.
    Das Gespräch lief nicht sehr gut. Ich
mochte die kleine Frau mit den kurzen roten Haaren nicht, die mir sagte:
    ›Wenn du von zu Hause weg willst,
darfst du nichts vor mir verheimlichen. Du darfst keine Angst vor deinem Vater
haben.‹
    Das sagte sich so leicht. Sie mußte ja
nicht seine Wutausbrüche und seinen Suff ertragen!
    Eine richterliche Vorladung landete in
unserem Briefkasten. Ich mußte mich bei Madame Furtel melden, Erzieherin in
Dax. Verwirrung zu Hause. Mama verstand überhaupt nichts mehr. Ich erklärte
ihr, daß ich genug von diesem Leben hätte, ohne konkret auf die sexuellen
Handlungen einzugehen, die mein Vater mir aufzwang. Er rief aus:
    ›Was hat sie denn jetzt schon wieder
herumerzählt?‹
    Raphael und Sophie sagten mir, daß sie
sich auch nicht wohl in ihrer Haut fühlten, aber mit niemandem darüber sprechen
würden. Vielleicht war es meiner Schwester ja gelungen, meinem Vater die Stirn
zu bieten, so daß er sie nicht mehr nachts vergewaltigte.
    Wir bekamen eine weitere Vorladung: Die
städtische Polizei forderte mich zu einer Aussage auf.
    Mein Vater drohte mir:
    ›Ich wäre fähig, dich umzubringen, wenn
du den Mund aufmachst. Ich rate dir zu sagen, du hättest dich nur interessant
machen wollen und alles nur frei erfundene
    Am Abend, als er mich aus meinem Zimmer
holte, war er brutaler als je zuvor, und das, wozu er mich zwang, überstieg an
Perversion meine kühnsten Alpträume. Ich kam um vor Angst.
    Er hatte gewonnen. Ich konnte der
Polizei einfach nicht die Wahrheit sagen.
    Bei der Erzieherin war das anders. Sie
war lieb und sanft. Ich erzählte ihr alles, auch von den Drohungen. Sie
beruhigte
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