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Die Nirgendwojagd

Die Nirgendwojagd

Titel: Die Nirgendwojagd
Autoren: Jo Clayton
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tastete zu ihr empor, wies sie zurück, die Rinde schob sie weg, der Ast bockte unter ihr, stieß ihre Hände davon.
    „Roha!” Der Klang fuhr in sie hinein, eine Steinklinge, die sie durchschnitt. Sie zog ihr die Haut ab. Voller Entsetzen starrte sie in die Finsternis, doch ihre Blicke weigerten sich, sie zu durchdringen.
    „Roha!” Ein Klang, ein sanfter Ton. Sie löste ihre Hände von dem Ast, blickte sie unbehaglich an. Die dunkelgrüne Haut lag glatt und fest an Fleisch und Knochen. Sie blinzelte, sah erneut hin. Der Dunst des Marks wich zurück, die Dunkelheit unter den Bäumen bleichte aus. Ein Schatten balancierte auf den hohen, ineinander verschlungenen Wurzeln. Sie atmete den warmen Strom von Zuneigung und Besorgnis ein, der ihr aus den Schatten entgegensprudelte. Als sie sich noch weiter von ihrer Vision zurückzog, konnte sie wieder atmen und sprechen und wahrnehmen. „Rihon, hast du es gesehen?
    Warte, ich komme hinunter.”
    Zitternd und schwächer als ihr lieb war, während die Muster vor ihr zerbrachen, die Muster in ihren Augenwinkeln lauerten, tastete sie durch Traum und Dunkelheit nach dem Kletterseil, schwang sich daran hinunter, wobei die Knoten, die ihre eigenen Finger geknüpft hatten, beruhigend auf sie wirkten, Beruhigung in ihre Füße und Finger hinein wisperten. Dann war sie unten, balancierte auf den Luftwurzeln, und blickte ihren Bruder an. Sie streckte die Hände aus.
    Bruder und Schwester berührten sich, Handfläche lag auf Handfläche. Weiterer Schmerz floh aus ihr. „Hast du es gesehen?” Einen frostigen Moment lang fragte sie sich, ob es nur ein Traum gewesen war; manchmal fiel es schwer zu unterscheiden, was wirklich war und was von dem Traum-Mark aus der Luft beschworen.
    „Ein großes, helles Licht wie ein fallendes Samenkorn der Sonne.” Hinter der Ruhe in seiner Stimme zitterte ein Hauch von Ehrfurcht.
    Roha schüttelte sich. „Ich habe gesehen, wie das Nebelland es aufgenommen hat.” Sie packte seine Hände und hielt sie fest. „Rihon, wir müssen es verbrennen. Wir müssen da hinausgehen.”
    „Roha, nein.” Er entfernte sich vom Stamm und sprang auf die festgestampfte Erde des Pfades hinunter. Als er sich umdrehte, malte das Gewebelicht seidige Schimmer auf die fein geschwungenen Linien ihres Gesichts, welche die Sorge unterstrichen, die seine Stirn kräuselte und seine Lippen seltsam dünn machte. „Wir können nicht da hinausgehen.” Er half ihr herunter. „Das Nebelland?”
    Roha zögerte, hüpfte dann neben ihm herunter. Still, nachdenklich folgte sie ihm, als er sich abwandte und den Pfad entlang zum Dorf zurückging, und seine Haut reflektierte abermals Schimmer des Gewebelichts.
    Weil das Mark noch immer in ihrem Blut sprudelte, wechselte sie von den intensiven Gerüchen und Tastempfindungen des Waldes über in einen erhöhten Zustand, in dem sie alles um sich her mit einer schrecklichen Klarheit sah/hörte/roch, alles um sich her, vor sich, in den Blätterschichten und im Boden unter ihren Füßen, hinter ihrem Rücken. Sie sah alles und ging schließlich, als sich all die aufdringlichen Sinneseindrücke beruhigten, wieder durch die Schwarzweißmuster, den Schall - auf Muster gelegte Muster, Hiebe aus greller Farbe über dem Schwarz und Weiß.
    Dann nahm Rihon wieder ihre Hand; die warme Festigkeit seiner Haut zerrte sie in die Realität zurück.
    Sie trottelte neben ihm her, wobei sie einen Mat-Achun umrundete, der stille Säure in einem Nebel um seinen Stamm tropfen ließ, einer langsamen, kriechenden Horde vielbeiniger Tambi auswich, Blutsauger, aus deren gummiartigem Fleisch winzige Tentakel wuchsen, Tentakel, die hervorzüngelten und sich um die Beute wikkelten, meist kleine Nagetiere; sie fegte ein wenig später mehrere umhertappende Pudsi beiseite, deren kurze, breite Flügel geräuschvoll schwirrten, als sie auf der Jagd nach Riesensummern und anderen großen Insekten unter den Bäumen herum wirbelten. Es gab Tausende von Insekten, die die Nachtluft in eine Brühe verwandelten, indem sie sie mit gewaltigem Summen erfüllten; Rohas Haut zuckte ständig, und sie verengte ihre Nasenspalten gegen die Plagegeister.
    Sie konnte den Lärm vom Dorf heranwehen hören, bevor sie unweit hinter ihrem Bruder aus den Baumschatten trat. Sie ergriff Rihons Arm und blieb mit ihm am Rande des Dorfes stehen, vor den aufgeregten Leuten durch die Finsternis unter einem der vielen Pfahlhäuser verborgen. Die Nachtbrise wehte durch das Strohdach, war ein
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