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Die Nirgendwojagd

Die Nirgendwojagd

Titel: Die Nirgendwojagd
Autoren: Jo Clayton
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vorbei auf den finster gaffenden Niong. „Nein”, brüllte sie, und ihre Stimme erschallte über die stille, reglose Menge; sie drehte den Kopf, sah über ihre Vettern und Freunde hinweg, Altersgenossen, Kinder, Erwachsene.
    „Vergeßt die Fieyl.” Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, fühlte die Kraft in sich emporsteigen, fühlte die explodierende Spannung innerlich klingen, fühlte diese Spannung zu Worten geformt, die aus ihrem Mund purzelten, als wären es den furchtsamen Amar entgegengeschleuderte Steine. „Vergeßt sie. Das Muster ist gebrochen.”
    Sie breitete die Arme aus. „Ein Stachel vergiftet die Mutter”, schrie sie, stampfte mit den Füßen auf den Boden, wirbelte zweimal um die eigene Achse herum, um sie alle anzusehen. „Ich bin euer Pachisiku, der Dunkle Zwilling. Mein Mutterleib ruht in der Erde. Aus meinem Mutterleib wurde die Erde geschaffen. Sie ruft nach mir, Mutter Erde, Tochter Erde. Sie ruft. Sie ist im Herzen verwundet.
    Das helle, böse Gift tropft ihr in Blut und Knochen.” Sie schlug sich mit den Fäusten auf die Brust und spürte die Schmerzen nicht. Ihre Augen funkelten sie an, aber sie sah sie nicht. Sie sah nur einen gro
    ßen, hellen Stachel vor sich hängen. Schaumtupfer sammelten sich an ihren Mundwinkeln, während sie sprach. Neben den ihren hatten Rihons Augen dasselbe Funkeln angenommen.
    Sobald sie zu reden aufhörte, hob Rihon die zu Fäusten geballten Hände. Flammen züngelten über seine glatten, schwitzenden Seiten, Feuer glühte in seinen Augen, Feuer, das von ihm auf die Leute übersprang, auf die glotzenden Rum-Amar, auf seine Vettern und Onkeln und Tanten; er machte einen gewaltigen Satz und landete vor Roha, die Füße fest auf die Erde gepflanzt, während sich seiner Kehle ein lauter, heiserer, wortloser Schrei entriß.
    Und sie alle atmeten im Gleichklang, jung und alt, selbst der jüngste und zuletzt entstandene Schlüpfling, alle atmeten im Gleichklang, bis sie zu einem vielmündigen, vielbeinigen Tier verschmolzen, Rihons Altersgenossen, männlich und weiblich, die sich auf die Schenkel schlugen und in weichen, tiefen Keuchstößen atmeten, als er brüllte: „Ich bin euer Pachi-Kilot, der Helle Zwilling, mein Samen ist der Erde gegeben, aus meinem Samen erwächst alles, was lebt, aus meinem Samen wurde alles geschaffen am Anbeginn der Zeiten. Diejenigen, die auf dem Erdmutterleib leben, wehklagen; heilt die Mutter, zieht den Stachel aus ihrem Fleisch. Reißt ihn heraus. Heraus. Heraus.”
    „Heraus! Heraus! Heraus!” sangen die Heranwachsenden.
    „Vergeßt die Rum-Fieyl. Vergeßt sie. Vergeßt sie.”
    „Vergessen! Hunh! Vergessen! Hunh! Vergessen!”
    „Ins Nebelland!” schrie Roha und legte ihren Arm auf den des Bruders. „Zieht den Dorn heraus. Das Nebelland! Das Nebelland!”
    Der Wan trat vor Roha und legte eine Hand auf ihre Schultern.
    „Psst, Zwilling, du weißt nicht, was du sagst.” Als sie seine Hand wegzustoßen versuchte, schüttelte der den Kopf. „Still, Kleine”, murmelte er. Seine andere Hand schloß sich um den wassergeschliffenen Grünstein, der an einer geflochtenen Schnur um seinen Hals hing.
    Roha schloß die Augen. Neben ihr wurde auch Rihon still, stand nur da, verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen; sie konnte das Scharren seiner Füße hören, und als sie es hörte, fröstelte sie, während das Fieber aus ihren Knochen und ihrem Blut floß, bis sie sich an dem Wan festklammerte, ihre Wange gegen den baumelnden Stein gepreßt.
    Er klopfte ihr auf die Schulter, ließ sie dann niedersinken, bis sie mit gebeugten Schultern und hängendem Kopf kniete. Rihon fiel dicht hinter ihr auf die Knie. Sie konnte ihn dort fühlen, beinahe die feuchte Wärme seines Atems auf ihrem Genick spüren.
    Mit der grimmigen und stillen Serk neben sich, drehte sich der Wan gemächlich um, und seine Blicke bewegten sich über die halb hypnotisierten Amar.
    Draußen, in den von dem erlöschenden Feuer geworfenen Schatten, brach das Tier aus Nase und Mund und Hand auseinander, das Singen und das Schenkelklatschen und Brusttrommeln verebbte, bis
    - abgesehen von den summenden Nachtinsekten, dem Rascheln der Brise in den Strohdächern, dem Zischen und gedämpften Prasseln des Feuers — Stille herrschte. Langsam blinzelnd, das verwitterte, sanfte Gesicht zu Stein geworden, starrte der Wan forschend in die verwirrten Gesichter der Amar, bis er sah, das er suchte. „Gawer Hith, komm her.”
    Die drahtige alte Frau schlängelte sich
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