Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
bei Tisch. Der Bengel bestellte exakt das, was sich der Gotthelf bestellte. Als beide satt und zufrieden waren, fragte er den Buben: »Wie heißt denn?«
    »Pepi …«
    »Und seit wann treibst dich am Naschmarkt herum?«
    »Seit meine Frau Mutter tot ist.«
    »Und seit wann ist sie tot?«
    Dem Buben traten die Tränen in die Augen. Er schluckte und stieß schließlich trotzig hervor: »Unlängst. Aber das geht Ihnen nix an …«
    Gotthelf grinste ob dieser Antwort. Irgendwo begann er, den Buben zu mögen.
»Bist also ein Waisenkind?«
    Der Bub wischte sich die Tränen von den Wangen und nickte. Gotthelf gratulierte sich im Stillen zu seinem Glück. Er hatte als Partner für sein Geschäft ein echtes Waisenkind engagiert. Der Bub stand plötzlich auf und wollte gehen. Zögernd fragte er: »Könnt’ ich ein paar Heller für meine Hilfe bekommen?«
    Gotthelf schaute ihn an, grinste und schüttelte den Kopf.
    »Geld kriegst vorerst keins in die Hand. Komm, setz dich wieder, ich mach dir einen Vorschlag.«
    Und dann bot der Gotthelf dem Pepi an, sein Partner im Planetenverkaufsgeschäft zu werden – Schlafplatz inklusive! Mit ihm als Waisenkind könnten sie sicher eine Zeit lang die Kundschaft zufriedenstellen. Außerdem könnte er ihm beim Suchen nach dem Toni behilflich sein. Und falls sie den Toni wirklich fänden, hätte Pepi – nach einer gewissen Einschulungszeit – die Chance, ihn beim Planetenverkaufen zu vertreten. Der Bub hörte mit großen Augen seinen Ausführungen zu und fragte schließlich: »Aber warum, gnädiger Herr, wollen S’ das für mich tun?«
    Da wurde Stanislaus Gotthelf still. Er bestellte sich beim Ober einen doppelten Trebernen, schüttete ihn auf einen Sitz runter und sagte nach einer längeren Pause: »Weil bei mir auch wer g’storben ist.«
    Und während er dasaß und mit den Tränen kämpfte, dachte er an seine geliebte Minerl. Und natürlich auch an die kleine Mizzi. Wobei die ihm am meisten leidtat. Denn die kam völlig unschuldig ums Leben.

4. Teil
     
     
     
     
     
     
Amtsblatt der k. k. Polizei-Direction in Wien:
     
    Policei-Directions-Erlass vom 28.September 1903, Z. 88.689/A.B.
    Laut einer Mitteilung der hiesigen Gesandtschaft der Vereinigten Staaten von Mexico an das k. u. k. Ministerium des Äußeren wird von dieser Mission für jede Legalisierung eine Taxe von 4 mexikanischen Pesos = 19 K eingehoben.
    Sein Frnak 88 wurde von der herbstlichen Sonne dermaßen gekitzelt, dass er laut niesen musste. Erschrocken schauten Passanten ihn ob der trompetenhaften Explosion seines Gesichtserkers an, doch das kümmerte ihn wenig. Er war einfach viel zu müde. Bedächtig setzte er seinen Weg fort, der ihn vom Schottenring über das Schottentor den Franzensring entlangführte. Obwohl man schon den 4. Oktober schrieb, zeigte sich der Herbst von seiner milden, teils sonnigen, teils bewölkten Seite. Als ihm der Begriff Altweibersommer durch den Schädel geisterte, musste er plötzlich wieder an die alte strangulierte Frau denken, die er vor drei Wochen in der Fichtegasse Nummero 8 gefunden hatte. Natürlich kam ihm auch wieder der mutmaßliche Mörder, der Baron von Schönthal-Schrattenbach, in den Sinn. Er hatte es geschafft, sich dem Zugriff von Polizei und Justiz zu entziehen. Wie vom Erdboden verschwunden war er. Und zwar seit dem Vormittag des 16. Septembers, als er dabei beobachtet worden war, wie er sein Gepäck in einen Fiaker verladen ließ und wegfuhr. Trotz sofort eingeleiteter Fahndung und umfassenden Ermittlungen hatte die Polizei ihn nicht verhaften können. Es konnte einzig festgestellt werden, dass der Baron am selben Vormittag das Bankhaus der Familie Hainisch-Hinterberg besucht, dort eine Bankvollmacht seiner Mutter – der Erbin des Hainisch-Hinterberg’schen Vermögens – vorgelegt und eine sehr hohe Summe Bargeld abgehoben hatte. Danach konnte kein weiterer Schritt des mutmaßlichen Vierfachmörders eruiert werden. Ein Umstand, der Nechyba nach wie vor ärgerte. Dieser Ärger konnte aber nicht seinen Appetit zügeln. Und so beschloss der Inspector, sich in den zum Glück noch in Betrieb befindlichen Schanigarten des Café Landtmann zu setzen. Er hatte einen Riesenhunger, obwohl es noch nicht einmal 11 Uhr vormittags war. Zeit für ein Gabelfrühstück!
    Nechyba ließ sich auf einem der Holzstühle nieder, genoss die herbstlichen Sonnenstrahlen und wunderte sich, warum er ausgerechnet jetzt an die grauslichen Naschmarktmorde dachte. Und das nach einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher