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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Anfang. Als ihm aber im Laufe der Untersuchung und der nahenden Gerichtsverhandlung angst und bang wurde, entschloss er sich, die Wahrheit zu sagen. Allein – weder der Untersuchungsrichter noch der Staatsanwalt glaubten die Wahrheit. Sie hielten seine Alibis für erstunken und erlogen. Deshalb wurden sie auch nicht überprüft. Nun begann die schlimmste Zeit für den Stani. Er fing an, schlecht zu schlafen. Schreckliche Albträume quälten ihn. Er hatte kaum mehr Appetit. Das Wenige, das er zu sich nahm, erbrach er wieder. Die Angst um sein Leben machte ihn fast wahnsinnig.
     
    Das alles war nun Gott sei Dank vorbei. Die Wahrheit war endlich ans Licht gekommen, und er war frei. Bevor man ihn entlassen hatte, bekam er sein tadelloses Gewand sowie den Kasten mit den Horoskopzetteln zurück. Einzig sein Papagei wurde nicht rückerstattet. Die Beamten hatten keine Ahnung, wo der steckte. Einer gab ihm den Tipp, sich im Haus des Wiener Tierschutzvereins, das im 16. Wiener Gemeindebezirk war, zu erkundigen. Traurigkeit überkam Gotthelf. Der Toni war ihm im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen, und er vermisste ihn sehr. Immer trauriger werdend, schlurfte er wie in Trance vor sich hin.
    Plötzlich befand er sich am Naschmarkt. Einige Fratschlerinnen schauten ihn groß an, andere steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Der Stani aber stellte sich an seinen Stammplatz ans Eck eines gemauerten Standes. Und da er nichts Besseres zu tun hatte, ließ er sich mit geschlossenen Augen die Sonne ins Gesicht scheinen. Plötzlich zupfte ihn wer am Ärmel. Blinzelnd nahm er die vertraute Gestalt des Gymnasiasten Alphonse Schmerda wahr. Verlegen grinsend sagte dieser: »Servus, Stani. Bist aus dem Häfen 86 endlich heraußen. Ich hab schon vor Tagen dem bladen 87 Inspector gesagt, dass du unmöglich die Mizzi umgebracht haben kannst. Ich hab dich und die Frau Hugo nämlich beobachtet, wie ihr zuerst im Sperl wart und dann bei ihr in der Wohnung. Ich hab ihm ausdrücklich g’sagt, dass du’s nicht warst.«
    Stani klopfte dem Gymnasiasten dankbar auf die Schulter. Just in diesem Moment tauchte Henriette Orliczek auf. Sie sah die freundschaftliche Geste, stürzte auf Gotthelf zu und zischte: »Na, vergreifst dich jetzt auch an jungen Buben. Hast das im Gefängnis gelernt?«
    Mit einem Ruck hakte sie sich bei Alphonse unter und sagte: »Komm, mein Hübscher. Dieser Planetenverkäufer ist kein Umgang für dich. Hilf mir lieber ein bisschen, Obst einzukaufen. Du darfst es mir dann in die Wohnung tragen …«
    Alphonse bekam einen roten Kopf. Ohne Widerstand ließ er sich von der von ihm verehrten Frau abführen. Stani schüttelte nur den Kopf und dachte sich: Hoffentlich lässt sie die Finger von ihm …
    Gerade als er sich auszumalen begann, wozu die Orliczek fähig sei, hörte er eine vertraute Frauenstimme, die ihn freundlich grüßte. Er blinzelte und erkannte die dicke Frau Endlweber, die sehr oft Horoskopzetteln bei ihm gekauft hatte.
    »Wie geht’s denn immer so? Ein bisserl blass schaun S’ aus. Na ja, das war sicher kein Zuckerschlecken, so lange unschuldig in einer Zelle zu sitzen. Wissen S’ schon das Neueste? Ihre Planetenzetterln haben mir Glück gebracht. Ich bin jetzt – so wie es mir die Planeten vorausgesagt haben – glücklich liiert. Sagen S’, Herr Gotthelf, wo haben S’ denn Ihren Papagei? Ich würd’ Ihnen nämlich gerne wieder ein Zetterl abkaufen. Um ein bisserl in die Zukunft zu schaun …«
    Dienstbefliessen klappte Stani den Kasten mit den Planetenzetteln auf. Und da er nicht selber die Rolle Fortunas übernehmen wollte, pfiff er einen zaundürren Bengel, der gerade über den Markt streifte, zu sich her.
    »Gnädige Frau, mein Papagei steht Ihnen heute umständehalber nicht zur Verfügung. Aber wie es das Glück so will, hab ich ein Waisenkind an der Hand, das für Sie das Glücksengerl spielen wird.«
    Dem staunenden Buben band er sein Stecktuch um die Augen und ließ ihn dann ein Zetterl ziehen. Die dicke Endlweber bekam bei dieser Zeremonie vor Aufregung rote Backerln. Hoch beglückt, zahlte sie und zog von dannen. Zwei Ecken weiter traf sie eine Bekannte, der sie von dem aus der Haft entlassenen Gotthelf und seinem Waisenkind erzählte. Und so kamen an diesem Tag viele alte Kundinnen zu Gotthelf, um ihr Glück zu erforschen und um zu schauen, wie der Stani die Haft überstanden hatte.
     
    Abends nahm Gotthelf den Bengel in die Gastwirtschaft Zur goldenen Glocke mit. Schweigsam saßen die beiden
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