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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde
Autoren: Gmeiner-Verlag
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aufreibenden Nachtdienst, bei dem er frühmorgens zu einem Selbstmord in die Schwarzspanierstraße 15 hatte ausrücken müssen. Dort – in Beethovens Sterbehaus – hatte sich ein junger Schriftsteller eine Kugel ins Herz gejagt. Da man zwei Abschiedsbriefe fand und die ganze Situation sehr eindeutig war, gab es an dem Tatbestand des Selbstmordes keine Zweifel. Der junge Mann hieß Otto Weininger. Dieser Name kam ihm irgendwie bekannt vor, obwohl er im Moment nicht sagen konnte, warum.
»Der Herr wünschen?«
    Ein Kellner riss Nechyba aus seinen Grübeleien. Und da ein anständiger Mensch im Kaffeehaus, wenn er Hunger hat, nichts anderes als ein Eiergericht bestellt, orderte der Inspector zwei Eier im Glas, einen doppelten Mokka sowie ein Butterbrot. Danach erhob er sich ächzend und begab sich im Inneren des Cafés auf die Suche nach einer Tageszeitung. Er ergatterte ein Exemplar der Wiener Zeitung und kehrte an seinen Tisch zurück. Im Lokalteil las er folgende Meldung:
    ›In den ersten drei Quartalen des heurigen Jahres sind im Wiener Polizeirayon 337 Selbstmorde, davon 62 von Personen weiblichen Geschlechts, gegen 348 in der gleichen Periode des Vorjahres vorgekommen. Auf die einzelnen Monate verteilt sich die Zahl wie folgt: Jänner 26, Februar 34, März 46, April 25, …‹
    Jetzt, da sein Hirn abgelenkt und sein Unterbewusstsein von der Leine der Gedanken losgelassen worden war, kam ihm plötzlich die Erleuchtung: »Kruzitürken! Dass ich da nicht schon früher draufgekommen bin! Der Weininger ist ja der Frauenhasser!«
    Mit diesem Gefühlsausbruch erschreckte er den Piccolo, der ihm gerade den doppelten Mokka mit einem Glas Wasser servierte. Doch Nechyba nahm davon keine Notiz. Vielmehr war ihm nun klar, warum er die ganze Zeit an die Naschmarkt-Morde gedacht hatte. Weininger! Das war die Verbindung! Und diese Erkenntnis erleichterte den Inspector. Nicht nur, weil in seinem Hirnkastel jetzt wieder alles geordnet war. Sondern auch deshalb, weil Weininger es augenscheinlich mit sich selbst und der Welt nicht mehr ausgehalten und sich erschossen hatte. Das war ein klares Motiv. Nechyba bedauerte ihn nicht. Einer, der die Frauen so hasste, wer weiß, was der noch alles angestellt hätte? Den Schönthal-Schrattenbach hatte der Weininger ja auch äußerst negativ beeinflusst.
    »Ja, ja, die Frauen …«, murmelte Nechyba und nahm einen Schluck Kaffee.
    »Habe die Ehre, grüß Gott, Herr Inspector. Erlauben Sie, dass ich mich kurz zu Ihnen setze?«
    Zum zweiten Mal wurde Nechyba aus seinen Gedanken gerissen. Verwundert nahm er zur Kenntnis, dass sich der Graf Borowicz an seinem Tisch niederließ.
    »Aber selbstverständlich …«, murmelte er und überlegte, was der Borowicz von ihm wollen könnte. Irgendetwas brannte dem auf der Seele. Anders war es nicht zu erklären, dass der sich an seinen Tisch setzte. Man kannte sich ja vom Café Sperl, man grüßte einander, aber das war es dann auch schon. Nechyba wurde nicht lange auf die Folter gespannt, denn der Graf plauderte frisch von der Leber weg: »Wissen Sie, Herr Inspector, ganz unter uns: Seine Freunde kann man sich aussuchen, seine Familie aber nicht. Und weil das nun einmal so ist, bin ich jetzt mit einem polizeilich gesuchten Vierfachmörder verwandt. Eine äußerst peinliche Angelegenheit … Also ich hätte ja dem Loysi einiges zugetraut, aber dass er gleich massenweise die Weiber massakriert, Pardon, das nicht. Dass er zu so etwas fähig ist … Wer hätte sich das gedacht? Bringt sogar seine eigene Frau Mama um! Quel scandale! So was tut man doch nicht …«
    Nechyba dachte sich, wie ausgerechnet er dazu kam, dass ihm Borowicz seine familiären Probleme erzählte. Diese Raunzereien konnte er doch viel besser in seinen eigenen Kreisen loswerden, dazu musste er nicht einen hundemüden Staatsdiener behelligen. Einen hart arbeitenden Beamten, der nach der Nachtschicht in Ruhe Kaffee trinken und Eier im Glas essen wollte. Also löffelte er wortlos die weichen Eier, biss mit Genuss ins Butterbrot und schenkte dem Borowicz’schen Geschwätz keine Aufmerksamkeit. Das änderte sich, als Borowicz ihm die Ansichtskarte von einem Ozeandampfer über den Tisch schob.
    »Schauen Sie, Herr Inspector, der Loysi, der unverschämte Kerl, lässt mich nicht einmal jetzt nach seiner Flucht in Ruhe. Der besitzt doch glatt die Frechheit und schreibt mir eine Ansichtskarte. So wie wenn überhaupt nix passiert wäre. Was sagt man dazu?«
    Dazu fiel Nechyba vorerst auch
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