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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde
Autoren: Gmeiner-Verlag
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dem Springmesser. Die Vorstellung, sie zu erdrosseln, hatte von ihm Besitz ergriffen; eine unblutige, lautlose Lösung, um seine Lebensumstände wieder in den Griff zu bekommen.

I.
    Es klang wie das Donnergrollen eines fernen Gewitters. Ganz tief unten in den Kavernen begann es, schwoll mächtig an, durchbrach einen geheimnisvollen Damm, hinter dessen dicken Mauern gewaltig drängende Massen an komprimierter Luft aufgestaut waren. Sie rauschten wie eine gigantische Woge empor, überrollten dabei ein zartes, vorauseilendes Prickeln und explodierten schließlich als röhrender Rülpser. Das darauf folgende Aaahhhh der Erleichterung war für den vor der Tür wartenden Pospischil das Zeichen, dass Joseph Maria Nechyba sein Gabelfrühstück beendet hatte. Dienstbeflissen betrat er das Zimmer.
    »Er kann abservieren«, nuschelte der Inspector, lehnte sich zurück und angelte sich eine Zigarre aus der länglichen Kartonschachtel. Es war eine Virginier, die einen Strohhalm als Mundstück hatte. In diesem Mundstück steckte ein weiterer Halm, den Nechyba vor dem Anrauchen herauszog. Seine dicken Finger entwickelten dabei eine Grazie, die man ihnen nicht zugetraut hätte. Eilfertig kramte Pospischil in seiner Jacke, brachte Schwefelhölzer zum Vorschein und entzündete eines. Nechyba benutzte den herausgezogenen Halm als Fidibus, zündete ihn an der dargebotenen Flamme an und entfachte paffend eine Glut. Während der Inspector kunstvolle Rauchkringel formte, räumte Pospischil den Schreibtisch auf, knüllte das Papier, das als Essensunterlage gedient hatte, zusammen und warf es treffsicher in den Papierkorb. Daraufhin wischte er mit der Handkante die Brösel auf dem Schreibtisch zu einem Häufchen und kehrte es auf die offene Handfläche seiner linken Hand. Dann nahm er das leere Bierglas und verließ den Raum, um draußen die zusammengekehrten Brösel von seiner Handfläche zu schlecken.
    Nechyba, der diese Schrulle seines Assistenten kannte, fand das ekelhaft. Trotzdem ließ er es weiter geschehen. Das war typisch für den Charakter sowie für die Menschenkenntnis des Inspectors. Im Gegensatz zu manchem anderen Beamten bei der Sicherheitswache glaubte er nicht an die Änderungsfähigkeit des Menschen. ›Einmal ein Strizzi – immer ein Strizzi‹ war eine seiner stehenden Redewendungen, die auf der Gewissheit beruhte, dass ein Gauner immer ein Gauner bleibt. Und dass einer, der sich wie ein Hund benahm, immer hündisch reagieren wird. Deshalb hatte er auch keinerlei Skrupel, seinen Assistenten wie einen Hund zu behandeln: mit einer gewissen Härte und mit dem Anspruch auf unbedingten Gehorsam und Unterordnung.
    »Pospischil!«, dröhnte es aus dem Inspectorenzimmer. »Pospischil! Hierher!«
    »Jawohl, schon zur Stelle, Herr Inspector!«, rief dieser und lief von dem Spülbecken, wo er das Bierglas gewaschen hatte, mit nassen Händen vor dessen Schreibtisch. Er nahm Haltung an.
    »Er wird jetzt die Akte mit der Wirtshausrauferei zwischen den Deutschradikalen und den Sozialdemokraten bearbeiten. Er weiß eh, was zu tun ist. Protokoll anfertigen, Zeugenaussagen einfügen, alles kurz und klar zusammenschreiben, keine Rechtschreibfehler, keine Eselsohren, keine Tintenflecken. Er hat bis Nachmittag Zeit. Und – Pospischil – bevor er die Akte zur Hand nimmt, trockne er sich die Finger ab. Das ist alles. Er kann gehen.«
»Jawohl, Herr Inspector.«
    Der k. k. Polizeiagent trat ab und eilte zurück zum Spülbecken, wo unter fließendem Wasser ein mittlerweile blitzsauberes Bierglas stand.
     
    Joseph Maria setzte seine Melone auf und verließ das Büro. Draußen empfing ihn die Schwüle eines Wiener Frühsommertages. Ein bisserl Sonnenschein, ein bisserl Wolken, vermischt mit hoher Luftfeuchtigkeit und ein paar vorwitzigen Regenspritzern. Kurzum: ein Wetter zum Aus-der-Haut-Fahren. Er nahm das Wetter mit einem grimmigen Schnaufer zur Kenntnis und ging mit der Würde eines kaiserlich-königlichen Beamten zur nächsten Tramwayhaltestelle, wo er sich in einen Zug Richtung Oper setzte. Bei der Babenbergerstraße stieg er aus und machte sich auf den Weg zu seinem Lieblingsfleischhauer 2 . Aus einer Toreinfahrt schoss ein kleiner, zotteliger Spitz und verbellte den Inspector. Eine Frauenstimme keifte: »Seppi! Hierher! Sapperlot! Seppi, du Rabenvieh, wirst herkommen? Seppi, hier! Wenn du jetzt nicht sofort parierst, kommst ins Gulasch!« Diese Drohung machte Eindruck, denn knurrend und fletschend trollte sich der Seppi zurück in den
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