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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Hof, aus dem er wie ein Deus ex Machina hervorgeschossen war. Nechyba versuchte, sich den Geschmack eines Hundegulaschs vorzustellen. Dabei kam ihm der pelzig-ranzige Geruch, der den meisten Hunden im Sommer eigen ist, in den Sinn. Ob sich diese Ausdünstungen mit dem würzig-süßen Paprika-Zwiebel-Aroma eines ordentlichen Gulaschs vertragen würden? Ein Gedanke, bei dem der Inspector erschauerte. Dies geschah, als er bei seinem Lieblingsfleischhauer eintrat. Der Schauer wurde von Anastasius Schöberl, der in Vertretung des oft abwesenden Meisters das Geschäft führte, sofort bemerkt und kommentiert: »Gott zum Gruß. Der Herr Oberpolizeirat gibt uns die Ehre. Was ist ihm denn? Betritt er den Tempel der fleischlichen Genüsse nur mehr mit Schauder und Grausen? So dreckig ist es bei uns doch gar nicht … Zumindest ist’s nicht dreckiger als bei anderen Fleischhauern in der Stadt. Oder ist er gar krank, der Herr Oberpolizeikommissär? Dagegen hätten wir was: ein exzellentes Beinfleisch, das eine Suppe gibt, die alle Stückerln spielt und die Tote auferstehen lässt. Dazu ein paar Markknochen mitgekocht und das Ganze heiß hinuntergelöffelt. Das stärkt Körper und Seele – so ein Kraftsupperl. Also, Herr Polizeipräsident, was darf es denn heute sein?« Diese witzig unverschämte Anrede war typisch für einen echten Wiener Fleischhauergesellen. Sie entlockte Joseph Maria Nechyba ein Schmunzeln. Er erklärte Schöberl, dass er heute Abend Spanische Vögel 3 kochen wolle und dafür ein butterweiches Rumpsteak benötige. Das Fleisch solle ihm der Lehrbub ›so gegen halb sechs am Abend‹ nach Hause bringen. Joseph Maria Nechyba tippte an die Krempe seiner Melone und begab sich auf ein Mittagessen ins Gasthaus Zur goldenen Glocke.
     

III.
    Zuerst war ein metallisches Knacken zu hören. Es wurde durch das Einrasten von Zahnrädern verursacht. Diese setzten den Sperrmechanismus einer Feder außer Kraft, die – weil aufgezogen – in abwartender Position verharrt hatte. Nun setzte sie den Klöppel in Gang, der unbarmherzig auf die Glocke des Weckers einhämmerte.
    Der Besitzer dieser Höllenmaschine rührte sich nicht. Die Haut seiner überdimensional großen Füße war wächsern und fahl. Über das Haupt des reglosen Körpers war eine Decke gezogen, ein Arm hing schlaff über die Bettkante. Unbeschreiblicher Gestank erfüllte den abgedunkelten Raum. Eine Zimmerfliege surrte – aufgeschreckt von dem tobenden Wecker. Sie surrte auf wirren Zickzackbahnen durch das Zimmer. Auf dem Fußboden lagen wirr verstreut Kleidungsstücke.
    Neben dem Bett stand ein Nachttopf, vollgefüllt mit dunkelgelbem Urin. Auf dem weiß emaillierten Rand des Gefäßes landete immer wieder die Zimmerfliege, um kurz von dessen Inhalt zu nippen. Unterdessen hämmerte der Klöppel weiter. Allmählich ließ aber die Spannkraft der Feder nach, und der Wecker wurde leiser. Das Gerassel war noch nicht zur Gänze verstummt, als vom Vorzimmer, das gleichermaßen als Küche und Badezimmer diente, Sperrgeräusche der Wohnungstüre ins Zimmer drangen. Danach war ein vorsichtiges Öffnen und Schließen der Wohnungstüre zu hören. Zögernde Schritte näherten sich der Zimmertür, die vorsichtig geöffnet wurde. Just in diesem Augenblick verklang das Weckerläuten.
    Stille legte sich über den Raum. Selbst die Zimmerfliege hielt in ihren nervösen Erkundungsflügen inne.
    »Um Gottes willen! Herr Goldblatt, was ist Ihnen? Haben Sie denn den Wecker nicht gehört?«
    Nicht das kleinste Zucken, geschweige denn irgendeine andere Reaktion, kam von dem Körper unter der Decke.
    Es handelte sich dabei um den Redakteur Leo Goldblatt. Ein begabter und auch recht bekannter Journalist, der sich infolge minutiös recherchierter Chronik- und Gerichtsgeschichten einen Namen gemacht hatte. Um immer an das beste und aktuellste Material zu gelangen, trieb sich Goldblatt nächtelang in zwielichtigen Beisln, Bordellen und Branntweinstuben herum. Auch hatte er sich im Laufe der Jahre ein beachtliches Netz an Informanten aufgebaut, die ihn über das Geschehen in Wiens Halb- und Unterwelt auf dem Laufenden hielten. Dass er für Informationen gutes Geld bezahlte, war in einschlägigen Kreisen ebenso bekannt, wie die Tatsache, dass Goldblatt meist im Café Sperl anzutreffen war. Ein typischer Vertreter jener Generation von Wiener Intellektuellen und Lebenskünstlern, die das Café zu ihrem persönlichen Biotop erkoren hatten. Im Café war man nie allein, konnte aber trotzdem
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