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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde
Autoren: Gmeiner-Verlag
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seine Ruhe haben. Es gab alle Tageszeitungen gratis und als Draufgabe jede Menge Ansprech- und Diskussionspartner. Zudem war es im Café während des Winters schön warm und im Sommer meist angenehm kühl. All das konnte man zum Preis eines kleinen Kaffees stundenlang konsumieren und bekam außerdem immer wieder ein Glas frisches Wasser serviert. Es war also nicht verwunderlich, dass Leo Goldblatt den Großteil seines Erwachsenenlebens als Stammgast im Café Sperl zubrachte, wo er all diese Annehmlichkeiten genoss.
    Er war aber beileibe kein Schnorrer. Er konsumierte Unmengen von Kaffee, Bier, Wein und Schnaps und nahm auch oft kleinere Mahlzeiten im Sperl ein: das Frühstück, bevor er in die Redaktion ging, die Jause sowie des Öfteren ein Betthupferl, das meistens aus einer Eierspeis bestand. Außerdem konnte er im Café Sperl Billard, Schach, Domino, Bridge und vor allem auch Tarock spielen. Durch Letzteres lernte er Joseph Maria Nechyba sowie den Scharfrichter Joseph Lang kennen. Sie bildeten mit Goldblatt und mit dem Besitzer des Café Sperl, dem Herrn Kratochwilla, eine Tarockrunde.
     
    Ratsch! Mit einem energischen Ruck wurden die Vorhänge aufgerissen. Das Tageslicht blendete unbarmherzig. Wie von einem Peitschenschlag getroffen, begann die Zimmerfliege – vom emaillierten Rand des Nachttopfes startend –, nervös durch den Raum zu fliegen. Und aus dem Bett ertönte eine Grabesstimme: »Himmel, Arsch und Zwirn! Machen Sie das Licht aus. Weg mit dem Licht, sonst platzt mir der Schädel.«
    »Gott sei Dank«, flötete die Hausmeisterin, »leben Sie also doch noch, Herr Goldblatt. Und ich habe mir schon solche Sorgen gemacht. Stellen Sie sich vor, Sie wären gestorben und täten jetzt tot herumliegen. Das wär’ ein schönes Unglück.«
    Die zuvor reglose Hand zuckte, die wächsernen Füße bewegten sich, der Körper rumorte unter der Decke und entledigte sich eines donnernden Darmwindes.
    »Um Gottes willen, Herr Goldblatt! Es stinkt eh schon so … Jetzt muss ich aber die Fenster aufmachen.«
    Goldblatts Körper bekam einen Frischluftschock, was den Besitzer aufs Höchste irritierte:
    »Kruzitürken! Können Sie mich nicht in Ruhe lassen? Was fällt Ihnen eigentlich ein? Zuerst das Licht, dann die Luft. Fehlt nur noch, dass Sie mir kaltes Wasser über den Schädel schütten … Frau Oprschalek! Warum quälen Sie mich so?«
    »Um Gottes willen, Herr Goldblatt, ich habe, wie ich draußen am Gang den Boden aufgewaschen habe, fast fünf Minuten Ihren Wecker rasseln gehört. Ohne dass sich was bei Ihnen gerührt hat. Da hab ich mir Sorgen gemacht und bin halt zu Ihnen herein nachschauen gegangen. Und wie Sie so reglos dagelegen sind, hab ich schon geglaubt, Sie sind tot. Aber Gott sei Dank leben Sie ja noch.«
    »Wenn Sie noch einmal Gott sei Dank oder um Gottes willen sagen, trifft mich vor Zorn der Schlag. Dann haben Sie mich auf dem Gewissen!«
    »Um Go… auf gar keinen Fall soll das geschehen! Lieber beiß ich mir die Zunge ab. Soll ich Ihnen vielleicht einen Kaffee kochen, Herr Goldblatt?«
    »Frau Oprschalek, Kaffee trinke ich ausnahmslos im Kaffeehaus. Und dorthin werde ich mich sobald wie möglich verfügen. Wenn Sie jetzt so nett wären, aus meiner Wohnung zu verschwinden … Weil, sonst kann ich Ihnen nicht ersparen, dass Sie mich so sehen, wie der Herrgott mich erschaffen hat.«
    »Um Gottes willen, ich geh ja schon!«, rief die Oprschalek und verschwand fluchtartig. Goldblatt richtete sich im Bett auf, schwankte dabei etwas mit dem Oberkörper, ließ vorsichtig zuerst das linke und dann das rechte Bein über die Bettkante auf das Linoleum des Fußbodens plumpsen. Dabei stieß er an den Nachttopf, auf dessen Rand gerade wieder die Zimmerfliege saß. Zu ihrem Unglück schwappte die Flüssigkeit in ihre Richtung und zog die Fliege in Form einer Welle in die Mitte des Nachttopfes, wo sie nach einigen Minuten strampelnd ertrank.
    Goldblatt saß währenddessen da und kratzte seinen brummenden Schädel. Innerlich hatte er mit zwei unterschiedlichen Regungen zu kämpfen, denen er auf gar keinen Fall nachgeben wollte. Die erste Regung flackerte in seinem Schädel und war so etwas wie ein schwarzes Loch, in das er zu fallen drohte. Medizinisch betrachtet der klassische Fall einer Kreislaufschwäche infolge von exzessivem Alkoholgenuss. Die zweite Regung ging vom Magen aus, der gleichsam unter Feuer stand. Die Magenwände hatten das dringende Bedürfnis, sich auszuwringen. Sie wollten den säuerlichen
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