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DIE MEROWINGER: Schwerter der Barbaren

DIE MEROWINGER: Schwerter der Barbaren

Titel: DIE MEROWINGER: Schwerter der Barbaren
Autoren: Robert Gordian
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gebildet war, fielen ihm gleich die zur Aussicht passenden Verse ein, die er gefühlvoll deklamierte.
    »Rings ist geschmolzen der Schnee,
    neu sprießt das Gras auf in den Fluren
    und das Laub in den Wäldern.
    Erde verändert ihr Antlitz,
    die Ströme sinken und fließen
    friedlich am Ufer dahin …«
    »Ob du es mir glaubst oder nicht«, wandte er sich wieder an Chlodwig, »manchmal bedauere ich, dass ich zum König geboren wurde. Und ich beneide die Männer, die Talent haben und sich nur mit Poesie befassen. Ich selbst bin nicht ganz untalentiert, habe auch schon Verse gemacht. Aber man braucht dazu Sammlung und Zeit, und daran mangelt es uns Königen, leider. Du bist schweigsam geworden, mein Bruder. Woran denkst du?«
    »Oh«, sagte Chlodwig und strich mit dem Handrücken über den dicken Schnurrbart, den er jetzt trug. »Ich denke daran, dass mein künftiger Schwager dein Schwiegervater wird. Und ich frage mich, ob wir beide nun dadurch auch irgendwie miteinander verwandt werden.«
    Aus der Miene des Alarich wich der poetische Hauch.
    »Wie sagtest du eben?«, fragte er, unsicher lächelnd. »Du sprachst von deinem künftigen Schwager? Und meintest damit …?«
    »Theoderich, ja. Seine Gesandten erreichten mich gerade noch in meiner Hauptstadt, bevor ich hierherkam.«
    »Er schickte dir eine Gesandtschaft, um …?«
    »Um sich nach einer meiner Schwestern zu erkundigen, Audofleda. Man hat sie wohl sehr vor ihm gerühmt. Ihre Schönheit, ihre Talente …«
    »Und er bewirbt sich um sie?«
    »So ist es. Du bemerktest ja gerade, dass er mit Odoaker nun bald ein Ende machen wird. Er wird als König über Italien herrschen. Dazu benötigt er eine Königin.«
    »Und er hat sich für deine Schwester entschieden?«
    Dem König der Westgoten fehlte die Selbstbeherrschung, seine Betroffenheit zu verbergen. Er konnte sich gerade noch verkneifen, verächtlich hinzuzufügen: »Eine Fränkin?«
    Chlodwig tat, als überhörte er den schroffen Ton der Frage, und sagte: »Er ließ ihr durch seine Gesandten einen Antrag machen. Seine Geschenke zeigten uns, dass es ihm dringend ist – und sehr wichtig. Aber natürlich bin ich es, der die Entscheidung trifft. Und meine Schwester muss einverstanden sein.«
    »Ja, ist sie es etwa nicht?«, fragte Alarich gleichzeitig ungläubig und hoffnungsvoll.
    »Sie ist es«, erwiderte Chlodwig, nicht ganz der Wahrheit gemäß, denn Audofleda leistete heftigen Widerstand. »Selbstverständlich ist sie einverstanden, weil ich es bin. Es versteht sich, dass ich gründlich nachgedacht habe. Er und ich haben zwar keine gemeinsame Grenze, aber das kann sich ja irgendwann ändern. Deshalb ist sein Angebot nicht von der Hand zu weisen. Er bietet mir wohlwollende Neutralität bei allen meinen Unternehmungen. So etwas kann man nicht ablehnen. Meinst du nicht auch?«
    Jetzt war es Alarich, der missgestimmt schwieg. Chlodwig stand auf. Sie gingen langsam zurück durch das Wäldchen.
    Plötzlich blieb der Gote stehen, sah Chlodwig voll an und fragte: »Was meinst du mit ›Unternehmungen‹? Was soll das heißen? Hast du etwas vor? Was willst du tun?«
    »Was ich vorhabe, weiß ich«, sagte Chlodwig, wobei auch er stehen blieb und den Blick gelassen erwiderte. »Was ich tun werde, weiß ich noch nicht.«
    »Wenn es dir wichtig ist, dass Theoderich dabei Neutralität wahrt …«
    »Im Augenblick ist das noch weniger wichtig. Selbst wenn er eingreifen wollte, dürfte er dazu kaum noch Zeit haben. Der Fall wird jetzt und auf der Stelle entschieden.«
    »Welcher Fall?«
    »Einer, der dich und mich angeht. Nur uns beide.«
    »Ich wüsste keinen!«
    »Du weißt, was ich meine.«
    »Ich? Ja, was denn? Was soll ich wissen? Nein, ich verstehe nicht! Überhaupt nicht! Wenn du von den paar läppischen Dörfern sprichst, die noch strittig sind …«
    »Verstelle dich nicht.«
    Alarich griff sich an den Hals, als wollte er seine Kehle schützen. Er erschrak plötzlich vor dem Blick, der ihn traf, dem Wolfsblick. Er starrte in das grobe, wettergegerbte Gesicht mit dem martialischen Schnurrbart, das jetzt über ihm war, auf die frische Narbe von einem Schwerthieb, die sich wie eine helle Furche von der Stirn zum Kinn zog, auf die langen, früh ergrauenden Haarsträhnen.
    »Du weißt sehr gut, was ich meine!«, wiederholte Chlodwig.
    Der König der Westgoten trat so hastig zurück, dass er dabei stolperte und beinahe fiel. Er warf den Kopf herum und suchte seine gotische Hundertschaft, sah aber nur in einer
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