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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst
Autoren: Guido Dieckmann
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dem Körper seines toten Bruders hervor. Dann bedachte er Anna mit einem hasserfüllten Blick. «Aber du … du hast meinen Bruder einfach …»
    «Trau niemals deinen Bundesgenossen!» Anna bückte sich flink und hob Laurenz’ Pistole auf, die ihm bei dem Kampf aus dem Gürtel gerutscht war und einige Schritte neben seinem Leichnam im Gras lag.
    «Ich brauchte ihn nicht mehr, also Friede seiner Asche. Und erspar mir dein vorgeheucheltes Bedauern, es sah eben nicht so aus, als wolltest du mit Laurenz einen Humpen Bier stemmen.»
    «Ich wollte Henrika beschützen!»
    «Dann hast du versagt. Dein Bruder erzählte mir, dass du darin Erfahrung hast.»
    Sie befahl David, aufzustehen und den Strick vom Hals des Verdürenmachers zu lösen. Anschließend trieb sie die Männer und Henrika zurück auf den Steg.
    «Ihr werdet mir nun die Kriegskasse aus dem Wasser holen. Es ist das Vermächtnis meiner Mutter. Henrika wird doch wohl kein Geld beanspruchen, an dem Blut klebt, oder? Also macht schon!»
    Henrika ließ sich wiederum in das grünliche Wasser hinabgleiten, um die beiden zu Schlingen geknüpften Seile aufzufangen, die David ihr nun zuwarf. Dann füllte sie ihre Lungen mit Luft und ließ sich langsam am Pfahl abwärts unter Wasser gleiten. Eilig kratzte sie die zähe Schicht aus Algen und Gestrüpp vom Deckel des Kastens und schob mit letzten Kräften die Schlingen unter den Kassettenboden.
    Als sie bemerkte, dass die Seile straff saßen, zupfte sie daran, um David und ihrem Onkel ein Zeichen zu geben. Im nächsten Augenblick schwebte die Kriegskasse der Bluttöchter an ihr vorbei durch das trübe Seewasser.
    Henrika spürte, wie ihre Lungen sie verrieten. Sie musste dringend auftauchen.
    «Na los, komm raus, bevor ich dich erschießen muss», drang Annas Stimme an ihr Ohr.
    «Ich schaffe es nicht, ich habe mich verletzt.» Henrika schlang den rechten Arm um den Pfahl, machte aber keine Anstalten, sich auf den Steg hinaufzuziehen. Aus einer Wunde am Oberarm tropfte Blut ins Wasser.
    Anna streifte die Männer mit einem Seitenblick, der sie überzeugte, dass der eisenbeschlagene Kasten schon eine Spanne weit über dem Wasser in den Seilen hing. Dann bewegte sie sich vorsichtig an den Rand des Stegs vor, ging in die Knie und streckte die Hand aus, um Henrika aus dem Wasser zu helfen.
    «Ich warne dich, Henrika, falls du es wagen solltest, mich … großer Gott, bist du schwer …» Sie sprach nicht weiter, stattdessen starrte sie auf ihren rechten Fuß, den ein scharfer rostiger Eisendorn durchbohrte. «Was hast du getan?», brüllte sie und richtete die Pistole auf Henrika. Doch bevor sie den Abzug betätigen konnte, packte Henrika ihren Arm und schlug ihr die Waffe aus der Hand.
    Dann ging alles sehr schnell. David ließ sein Ende des Seils los, worauf die schwere Kasse aus einer ihrer Schlingen rutschte und mit einem heftigen Aufklatschen zurück ins Wasser fiel.
    «Nein», rief Anna, als sie den Kasten wieder versinken sah. Wild schlug sie um sich, dann kämpfte sie sich mit den Ellenbogen den Weg frei, der zum Wasser führte. Blut rann über ihre Hände, als sie den Dorn aus ihrem Fuß zog und sich, ohne zu zögern, in den See stürzte.
    Henrika und David blickten sich an, bevor sie erschöpft auf die morschen Bretter sanken. Henrika barg ihren Kopf an Davids Brust und überließ sich dem Klopfen seines Herzens. Niemand wagte sich von der Stelle zu rühren.
    Die Zeit versank in den leichten Wellen des grünen Sees mit der Gemächlichkeit einer Raupe, die über ein Blatt kriecht. Einen Augenblick lang hätte Henrika schwören mögen, einige Gesichter im Wasser gesehen zu haben.
    Hübsche weibliche Gesichter und Körper, die sich geschmeidig und mit schnellen Bewegungen durch das trübe Wasser ihres Reiches bewegten. Aber es war wohl doch nur eine Täuschung gewesen.
    Anna von Neufeld tauchte nicht wieder auf.
     

Epilog
    Oudenaarde in Flandern, August 1609
    Henrika lief durch die Halle, die bei Sonnenschein viel freundlicher aussah als an dem Regentag, an dem sie das Haus vor zwei Monaten zum ersten Mal betreten hatte. In ihrer Hand hielt sie eine dünne Aktenmappe aus feinem Schweinsleder.
    Um sie herum herrschte emsige Betriebsamkeit, jeder schien an diesem Morgen auf den Beinen zu sein. Ein ganzes Heer von Mägden lag auf den Knien und schrubbte die Holzdielen, bis sie im Licht der Sonnenstrahlen wie goldgelber Honig leuchteten. Zwei Frauen aus einem benachbarten Dorf nahmen die Verdüren von den Wänden, um
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