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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn
Autoren: Colin Dexter
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Prolog
     
    »Tja, was meinen Sie?« Der Präsident des Verbandes für Auslandsprüfungen wandte sich mit seiner Frage direkt an Cedric Voss, den Vorsitzenden des Geschichtsausschusses.
    »Nein, nein, lassen Sie erst mal hören, was unser Geschäftsführer meint. Schließlich sind es ja die Hauptamtlichen, die in erster Linie mit dem Mann leben müssen.« In nicht ganz so illustrer Gesellschaft hätte Voss hinzugefügt, daß es ihm Jacke wie Hose war, welcher der Kandidaten den Job bekam. So aber rückte er sich nur in der für ihn typischen schläfrigen Pose wieder in dem bequemen blauen Ledersessel zurecht und hoffte von Herzen, daß man endlich zum Schluß kommen konnte. Die Sitzung dauerte schon fast drei Stunden.
    Der Präsident wandte sich an seinen Nachbarn zur Linken, einen ziemlich klein geratenen Mann von Mitte bis Ende Fünfzig mit randloser Brille und einem knabenhaft-verschmitzten Zwinkern.
    »Dann schießen Sie mal los, Dr. Bartlett.«
    Bartlett, Geschäftsführer des Verbandes für Auslandsprüfungen, warf einen freundlichen Blick in die Runde, ehe er sich seinen sauber geschriebenen Notizen zuwandte. Er war solche Sachen gewöhnt. »Mir scheint, wir gehen – ganz allgemein gesprochen, alles in allem« (der Präsident und etliche der älteren Kollegen zuckten merklich zusammen) »und generell – darin einig, daß uns eine sehr gute Auswahlliste vorgelegen hat. Die Bewerber machten alle einen recht kompetenten Eindruck, die meisten verfügten über ausreichende Erfahrung für den Posten. Aber –« Er zog wieder seine Notizen zu Rate. »Ja, also ganz ehrlich gesagt – ich würde mich nicht für eine der Frauen entscheiden. Die Bewerberin aus Cambridge war etwas – wie soll ich sagen – etwas schrill …« Er sah die Mitglieder der Auswahlkommission erwartungsvoll an, einige nickten lebhaft zustimmend. »Die andere schien mir doch eine Spur unerfahren, und einige ihrer Antworten haben mich – äh – innerlich nicht hundertprozentig überzeugt.« Auch jetzt war bei den schweigenden Zuhörern kein Zeichen von Widerspruch wahrzunehmen, und Bartlett streichelte recht zufrieden seinen runden Bauch.
    »Kommen wir also zu den drei männlichen Bewerbern. Duckham? Ein bißchen vage, fand ich. Netter Junge, aber ich weiß nicht recht, ob er den Biß, das Durchsetzungsvermögen hat, das ich mir für unsere Geisteswissenschaften wünsche. Er steht in meiner Liste an dritter Stelle. Der nächste wäre Quinn. Hat mir gefallen. Ehrlicher, intelligenter Bursche, entschiedene Ansichten, guter Kopf. Erfahrungen vielleicht nicht ganz ideal, und dann … Ja, um ganz ehrlich zu sein: Meiner Ansicht nach wäre seine – äh – Behinderung doch etwas zu belastend bei uns. Telefongespräche, Sitzungen und dergleichen, Sie wissen schon … Sehr bedauerlich, aber nicht wegzuleugnen. Ich habe ihn auf Platz zwei gesetzt. Bleibt Fielding. Vorbehaltlos mein Favorit. Verteufelt guter Lehrer, hervorragende Schülerleistungen, genau das richtige Alter, bescheiden, sympathisch. Historiker mit Einserexamen, Balliol. Glänzende Referenzen. Einen besseren Kandidaten könnten wir uns nicht wünschen, und ich spreche mich ohne Einschränkung für ihn aus, Herr Präsident.«
    Der Präsident schloß recht ostentativ die Mappe mit den Bewerbungsunterlagen, nickte zustimmend und registrierte befriedigt weiteres Kopfnicken. Der Vorstand des Verbandes war vollständig vertreten, ein Dutzend angesehener Professoren aus Colleges der Universität Oxford, die sich zweimal im Semester im Hause des Verbandes einfanden, um die offiziellen Examensrichtlinien festzulegen. Keiner von ihnen arbeitete hauptamtlich für den Verband, keiner kassierte – bis auf die Reisekosten – einen Penny für die Teilnahme an den Sitzungen. Doch die meisten arbeiteten aktiv in den verschiedenen Fachausschüssen mit, stellten sich im Hinblick auf die profitablen Prozeduren der landesweit einheitlichen Prüfungen auf einen Standpunkt aufgeklärten Eigennutzes und betätigten sich im Juni und Juli, wenn ihre Studenten in den Semesterferien waren, als Prüfer bei den Examen an den staatlichen Schulen. Von den hauptamtlichen Mitarbeitern des Verbandes nahm nur Bartlett ex officio und ohne Stimmrecht an den Beratungen dieses Lenkungsgremiums teil, und mit Bartlett waren sie jetzt dreizehn. Doch der Präsident war nicht abergläubisch. Jetzt sah er sich wohlwollend um. Alles bewährte, vertrauenswürdige Kollegen, nur ein oder zwei der Jüngeren kannte er noch nicht
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