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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst
Autoren: Guido Dieckmann
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sogar. Ihre Mutter hatte in ihrer Verzweiflung einen Schürhaken oder etwas Ähnliches genommen und sich das verräterische Zeichen eigenhändig von der Schulter gebrannt, ehe die Männer sie davon abhalten konnten. Damit hatte sie sich zu einem Leben als Gebrandmarkte verurteilt, um ihr Leben und das ihres Kindes zu retten. Was hatte sie danach wohl vorgehabt? Hatte sie ihren Bruder angefleht, sich ihrer Tochter anzunehmen? Doch auch in Oudenaarde wäre sie nicht sicher gewesen. Zu viele Menschen hatten davon erfahren, dass die Schwester des Verdürenmachers mit einem unehelichen Kind niedergekommen war.
    «Wir brachten Maria und dich in ein abgelegenes Haus vor die Stadtmauern. Von dort aus plante ich, euch außer Landes zu schaffen, sobald sich deine Mutter erholt hatte. Aber es ging ihr von Stunde zu Stunde schlechter, das Wundfieber verzehrte sie, ohne dass wir etwas tun konnten, um ihr zu helfen. In meiner Sorge beschloss ich, nach Heidelberg zurückzureiten, um einen Wundarzt aufzutreiben. Barthel, Zorn und der Graf begleiteten mich, denn wir hörten Geräusche in der Nähe des Hauses und fürchteten, man könnte uns entdeckt haben. Ich wollte Maria und dich nicht allein zurücklassen, das musst du mir glauben, aber sie selbst bestand darauf. Trotz ihrer Schwäche behauptete sie immer wieder, es würde ihr bessergehen, sobald sie mit dir allein wäre. Keine Ahnung, was sie damit meinte.»
    Ich schon, dachte Henrika wie betäubt.
    Ich kann sie wieder gesund machen .
    «Als wir im Morgengrauen mit Arzneien und frischen Verbandstoffen zu dem alten Haus zurückkehrten, fanden wir Maria tot, und du warst spurlos verschwunden. Meine Schwester schien aber noch vor ihrem Tod Vorkehrungen für den Fall getroffen zu haben, dass wir auf der Flucht voneinander getrennt würden und du in fremde Hände kämest. Bevor wir Heidelberg verließen, bat sie mich, einmal im Jahr einen Boten zur Heidelberger Heiliggeistkirche zu senden. Dieser sollte warten, ob jemand kommen und Geld für deinen Unterhalt entgegennehmen würde. Und tatsächlich tauchte nach Ablauf jedes Jahres ein älterer Mann auf, dem das Geld übergeben wurde. So wussten wir, dass Maria sich noch jemandem anvertraut hatte und du am Leben warst.»
    «Das war mein Vormund, der Hutmacher Hahn, unter dessen Dach ich aufwuchs», sagte Henrika leise. Sie dachte nach. Anna musste von der Vergangenheit ihrer Mutter erfahren haben, auch von der verschwundenen Kriegskasse der Bluttöchter. Hinter ihr waren sie und Laurenz also her. Gewiss hatte Anna nach ihrer Flucht aus Mannheim geflucht, weil sie ihre Spur verloren hatte. Oder hatte sie geahnt, dass sich Henrika nach Straßburg durchschlagen würde? Immerhin hatte Henrika wochenlang von nichts anderem geredet als von Meister Carolus, seinen Druckergesellen und der Gazette. Anna war es gelungen, Laurenz für das Gold der Bluttöchter zu begeistern. Demnach verband beide dieselbe Gier nach Reichtum.
    «Und wie kommen wir nun hier heraus?», fragte Henrika. Aufmerksam schaute sie sich in der Kammer um, fand aber nichts, was ihnen hätte nützlich sein können. Mit flinken Bewegungen löste sie die Schnur, mit der sie sich ihr Bündel um die Hüfte gebunden hatte. Laurenz hatte es ihr nicht abgenommen. Sie begann, die Dinge, die sie aus Straßburg mitgebracht hatte, auf dem Fußboden auszubreiten.
    Quinten Marx runzelte die Stirn. «Das Herrenhaus ist sehr alt, Henrika. Es hat dicke Mauern, und vor den Fenstern befindet sich festes Gitterwerk. Tut mir leid, aber wir kommen hier nicht raus. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu beten, dass wir uns irgendwie mit diesen Leuten einigen können. Wenn Anna von Neufeld aber nach ihrer Mutter kommt, habe ich offen gestanden wenig Hoffnung. Sie wird uns nie entkommen lassen. Vermutlich hat sie sich in den Kopf gesetzt, ausgerechnet du könntest sie zu der Kasse … O, heilige Maria Mutter Gottes!» Der Verdürenmacher redete nicht weiter; irgendetwas hatte ihm die Sprache verschlagen. Stumm starrte er auf Henrika herab. Ehe die ihren Onkel fragen konnte, was ihn erschreckt hatte, wurde die Tür aufgerissen.
    «Streckt eure Hände aus», befahl Laurenz scharf. Er hatte zwei Stricke bei sich. Anna stand mit einer Pistole bewaffnet hinter ihm. Henrika hätte aufschreien wollen, als sie erkannte, dass es sich um Barthels Waffe handelte. Sie selbst hatte sie schon einmal in der Hand gehalten, damals, als die Menge vor der Zollschreiberei gegen die Pläne des
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