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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst
Autoren: Guido Dieckmann
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Laterne abnehmen, ehe er sie fallen lässt und den ganzen Karren in Brand steckt?», beendete Agatha Hahn ihr Schweigen. Hahn nickte. Er streichelte dem Jungen über das flachsblonde Haar und nahm ihm dann die Laterne aus der Hand.
    «Wir werden das Dorf nicht vor Morgengrauen erreichen», sagte er seiner Frau. «Aber wer konnte schon ahnen, dass in Heidelberg so viel Aufregung herrschen würde? Wenn ein Galgenvogel aus seinem Kerker gezerrt und aufs Schafott getrieben wird, drängen sich die Bauern aus den umliegenden Dörfern wie eine Herde Schafe durch die Stadttore und verstopfen Plätze und Gassen, um den Malefikanten zappeln zu sehen.»
    Die Hutmacherin schüttelte erbost den Kopf. «Wie scheinheilig ihr Männer doch sein könnt. War es nicht eine Büßerin, die man heute zur Richtstätte führte? Der Teufel soll ihr die Gestalt eines Engels geschenkt und sie mit ihrer hübschen Fratze zum Bösen verführt haben. Wenn sie einen Burschen gehenkt hätten, wären nicht halb so viele Schaulustige herbeigeströmt.»
    Ihr Mann hütete sich, darauf etwas zu erwidern. Sie hatten inzwischen den steilen Anstieg hinter sich gebracht. Bei normalen Sichtverhältnissen wären die Lichter, die abends vor dem Dorfgatter brannten, um Wölfe abzuschrecken, bereits von weitem zu sehen gewesen. Aber wenigstens ging es nun bergab, und sie mussten sich mit dem Karren nicht mehr so schinden.
    Hahn dachte an die Frau, über die Agatha gesprochen hatte. Eine Ehebrecherin, so hieß es zumindest. Gesehen hatte die Verurteilte jedoch keiner der Wirtshausbesucher, denn aus heiterem Himmel war verfügt worden, die Bestrafung an einem geheimen Ort zu vollziehen. Das war seltsam. Nicht weniger eigenartig war es aber, dass die Sünderin nicht am Galgen hatte baumeln müssen, sondern nur gebrandmarkt worden war, obwohl das Gesetz des seligen Kaisers Karl   V. für Ehebruch bei Frauen durchaus härtere Strafen vorsah. Hahn fragte sich, was für ein Zeichen man der Frau ins Fleisch gebrannt haben mochte. Eine Rose mit Dornen? Eine Teufelsfratze?
    «Schafft den Bösen fort aus eurer Mitte, steht in der Bibel», stieß Agatha auf einmal hervor. Sie schien gemerkt zu haben, wohin die Gedanken ihres Mannes wanderten.
    «Und sondert euch ab von denen, die …»
    Die Worte erstarben in ihrem Mund, als Hahn den Wollkarren mit einem Ruck zum Stehen brachte. Er packte seine Frau am Arm und wies auf eine einsame Baumgruppe, deren Wipfel trotz des Nebels noch zu sehen waren. Zwischen den Bäumen befand sich ein verfallenes Gutshaus.
    «Dort unten geht etwas vor sich», flüsterte Hahn. «Ich sehe Männer mit Fackeln. Sie zerren einen Sack hinter sich her. Gott steh uns bei, der Sack bewegt sich. Bei Gott, es sieht aus, als würde ein Mensch darin stecken.»
    Hahn löschte die Laterne und bedeutete seinem Neffen, sich still zu verhalten. Wer auch immer um das verlassene Haus herumstrich, er brauchte sie nicht zu sehen. So leise er konnte, schob er den Karren hinter dichtes Gestrüpp und winkte seine Frau und den Jungen zu sich. Schweigend verharrten sie dort.
    Eine ganze Weile später ging die Tür plötzlich auf, und vier Gestalten verließen das Haus. Aus seinem Versteck heraus konnte Hahn sehen, dass sie dunkle Umhänge und Hüte mit breiten Krempen trugen. Nur einen Augenblick lang streifte der Schein einer Fackel das Gesicht eines der Männer. Dieser blickte sich argwöhnisch um, und für ein paar bange Sekunden verweilte sein Blick auf den Büschen, hinter denen die Hahns kauerten.
    Der Hutmacher hielt die Luft an; sein Herz raste vor Aufregung. Dann aber gab der Mann im schwarzen Umhang seinen Begleitern ein Zeichen. Ohne Umschweife schwang sich die unheimliche Schar auf ihre Pferde und preschte davon, ohne sich noch einmal nach dem Haus im Wald umzublicken.
    Der Spuk war vorüber.
    Erleichtert atmete Hahn auf. Was auch immer die Fremden in dem alten Gutshaus zu tun gehabt hatten, es wäre sicher gefährlich gewesen, sie dabei zu stören.
    «Sie haben sich davongemacht», sagte er leise. «Ich denke, wir können die Nacht in dem Haus verbringen.»
    Agatha blickte ihn skeptisch an. «Mir ist nicht wohl bei der Sache, aber ein Dach über dem Kopf hätte ich schon gern. Und die Männer sahen nicht aus, als würden sie noch einmal zurückkehren.»
    Das Gutshaus war größer, als Hahn angenommen hatte, befand sich aber in einem beklagenswerten Zustand. Das Schindeldach war an mehreren Stellen undicht, und da es auch keine Fensterscheiben oder Holzläden
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