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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst
Autoren: Guido Dieckmann
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See?», fragten Quinten und Anna zugleich.
    Henrika nickte. Sie konnte sich keinen anderen Ort vorstellen, an dem ihre Mutter die Kasse versteckt haben sollte.

    Der Regen fiel nicht mehr so stark, als Henrika und ihr Onkel über den Hof und dann quer über ein verwildertes Rasenstück gescheucht wurden.
    Der See befand sich nahe der Mauer und war von hohen Weiden umgeben. Er war kleiner, als Henrika ihn sich vorgestellt hatte, und wirkte mit seinem bemoosten Ufer wie ein glasiges Auge, das den näher kommenden Menschen voller Aufmerksamkeit entgegenstarrte.
    Ob der See tief war, konnte Henrika nicht ausmachen. Das Wasser hatte die trübe Farbe der Büsche und Sträucher angenommen, und die Steine, die das sanft abfallende Ufer säumten, waren glitschig und mit schleimigen Flechten überzogen. Leise schlugen die Regentropfen auf die Oberfläche, die bei schönem Wetter gewiss spiegelglatt war. Nun aber war sie bewegt. Geräuschvoll klatschten Wellen an die Steinblöcke am Ufer. Windböen trieben Blätter hin und her.
    «So etwas konnte auch nur deiner Mutter einfallen», nörgelte Anna, deren hübsche Lederschuhe im Morast versanken. «Aber anders als ihre Tochter hatte sie Mut.»
    «Schön und gut, aber wie bekommen wir das Gold nun aus dem See? Sollen wir den ganzen Grund abtauchen lassen?» Energisch zerrte Laurenz an dem Seil um Quinten Marx’ Hals und schnürte ihm dabei die Luft ab. Der Verdürenmacher rang nach Atem. «Ich will meinen Anteil, hörst du? Mit ihm und dem Geld, das mir der alte Waldemar Zorn gezahlt hat, werde ich keine von euch jämmerlichen Gestalten mehr brauchen, um meine eigene Zeitung zu veröffentlichen.»
    «Lass meinen Onkel in Frieden, dann werde ich euch die Kriegskasse herausholen», fuhr Henrika den Drucker an.
    Sie fürchtete Wasser, solange sie denken konnte, hatte ihr davor gegraust. Aber mit dem See war es etwas anderes. Er war ihr Freund und jagte ihr keine Angst ein. Sie sah das glasige Auge direkt vor sich; es schien zu zwinkern, als sie zunächst ihre Beine, dann den Oberkörper langsam in den grünlich glitzernden Schlund gleiten ließ, der sich auftat, um sie zu verschlingen. Sie klammerte sich an einen der langen Pfähle, die den Steg zusammenhielten. Dann holte sie Luft und hangelte sich Stück für Stück abwärts, geradewegs in die Finsternis.
    Als sie endlose Momente später wieder auftauchte, war ihr Kopf leicht wie eine Daune; sie hatte keine Ahnung, wie lange sie die irdische Welt verlassen hatte.
    «Ich habe die Kasse gesehen», keuchte sie erschöpft. «Sie liegt etwa eine Handbreit unter dem Schlick begraben und ist mit einer Kette befestigt, die durch einen eisernen Dorn zusätzlich beschwert wird.»
    Anna beugte sich zu ihr herab. «Hast du die Kette lösen können?»
    «Nein, dafür wäre Werkzeug nötig. Aber der Eisendorn ließ sich abstreifen. Trotzdem fürchte ich, dass …»
    Henrikas letzte Worte verhallten im aufgebrachten Getöse Dutzender von Vögeln, die, von ihren Brutstätten im Dickicht aufgeschreckt, einer schwarzen Wolke gleich in den Himmel flatterten. Sie sah eine Gestalt zwischen den Büschen hervorspringen, die sich mit einem Schrei auf Laurenz stürzte.
    David, durchfuhr es Henrika. Er hat mich gefunden.
    Sie kämpfte sich auf den Steg hinauf und griff nach Annas Beinen. Die junge Frau strauchelte, überrumpelt von dem Schrecken; das morsche Holz zersplitterte unter ihren Füßen, doch Henrikas Plan, Anna zu Fall zu bringen, ging nicht auf. Mit einem wütenden Fluch befreite sie sich und floh schwankend über den halb zerfallenen Steg, geradewegs auf die Männer zu. Henrikas Onkel hatte noch immer die Schlinge um den Hals und kämpfte kniend gegen den Tod durch Strangulieren, denn Laurenz hatte sich das Ende des Seils um sein Handgelenk gebunden.
    «Schluss jetzt!» Annas Stimme dröhnte gefährlich durch den Regen. Längst war auch sie nass bis auf die Haut. Das Kleid klebte ihr am Körper. Drohend richtete sie die Pistole auf David.
    Mein Gott, sie wird ihn töten, schoss es Henrika durch den Kopf. Mit gerafftem Rock jagte sie Anna hinterher, bereit, sich zwischen David und Barthels Pistole zu werfen. Doch da löste sich ein Schuss, und Henrika starrte fassungslos in Laurenz’ vor Schreck geweitete Augen. In seiner Kehle prangte ein Loch; Blut sprudelte aus der zerfetzten Halsschlagader. Laurenz stöhnte noch einmal kurz auf, dann regte er sich nicht mehr.
    «Er hat seine Seele verkauft», sagte David. Vorsichtig zog er sein Bein unter
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