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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus
Autoren: Ralf Isau
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Hoffentlich war es nicht abgeschlossen. Als Tobes sich abermals umdrehte, sah er den Schatten der Katze vor dem Hintergrund Dutzender von Lichtern. Die Rotte nahte – so nannten die Bamberger ihre Stadtwache. Er zückte seinen Dolch und wünschte, es wäre ein Spieß oder wenigstens ein Degen.
    Mit einem wütenden Knurren warf er sich gegen das eisenbeschlagene Tor. Der rechte Flügel gab nach. Tobes zog seine Frau in einen kleinen, von Laternen beleuchteten Innenhof. Er hatte die Tür schon fast wieder geschlossen, als er plötzlich Widerstand spürte. Der faulige Gestank eines großen Fleischfressers wehte durch den Spalt. Eine Löwenpranke schob sich hindurch …
    Tobes stemmte sich mit aller Kraft gegen die massive Holztür und presste ein gequältes »Lauf!« hervor.
    Salome schüttelte den Kopf. »Ich bleibe bei dir.«
    Schüsse hallten über den Domplatz.
    Er rammte seinen Dolch in die Tatze. Die Raubkatze brüllte, zog ihre Pranke zurück und entriss ihm dadurch die Waffe. Sie fiel zu Boden. Unerreichbar für ihn.
    Wütend donnerte das Tier gegen die Tür.
    »Lass mich mit ihm allein«, ächzte Tobes vor Anstrengung. »Du blockierst meine Macht. In deiner Gegenwart kann ich mit der Bestie nicht den Körper tauschen und sie bändigen.«
    Salome küsste ihn auf den Mund und lief zu einem gewölbten Durchgang, der in den Haupthof der Anlage führte. Sie verschwand gerade in den Schatten, als sich der Löwe mit solcher Wucht gegen das Tor warf, dass Tobes samt der Tür herumgeschleudert wurde. Er spürte einen Schlag am Hinterkopf und sank benommen zu Boden. Alles um ihn herum drehte sich. Auf einmal war da das mächtige Haupt des Raubtiers …
    Aus großen Bernsteinaugen sah es ihn an. Er meinte in dem feindseligen Blick etwas wiederzuerkennen. Oder jemanden? Tobes versuchte sich hochzustemmen und streckte die Hand nach der Löwenmähne aus.
    Das Tier wich vor ihm zurück. Es schien zu wissen, dass dieser Mann ihm mit einer kleinen Berührung die Macht rauben konnte. Ohne ihn weiter zu beachten, folgte es Salomes Spur.
    Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam Tobes. Ihm war zum Erbrechen übel. Aus dem großen Innenhof erscholl ein Schrei.
    Salome! Wütend kämpfte er gegen die Ohnmacht an, kroch auf allen vieren zu dem Dolch, kam ächzend wieder auf die Beine. In seinen Ohren brauste ein Sturm. Undeutlich vernahm er Stimmen. Das Haus erwachte. Vielleicht war es noch nicht zu spät.
    Er taumelte durch den zweiten Torweg und gelangte in den Haupthof. Auf den Balkonen der umgebenden Gebäude brannten einige Laternen. Ihr Licht verschaffte ihm den furchtbarsten Anblick seines Lebens.
    Salome rannte auf einen viereckigen Brunnen zu. Ihre Hand hielt das Kissen, das sie unter dem Mantel trug. Der Löwe folgte ihr dichtauf.
    »Rühr sie nicht an, du Ungeheuer!«, brüllte Tobes und rannte auf die beiden zu.
    Mit einem mörderischen Satz war die Raubkatze bei seiner Frau und riss sie mit ihren Pranken um. Salome kreischte. Das Raubtier grub seine Fänge in ihren Nacken und schleuderte sie wie eine Strohpuppe herum, geradewegs in den Brunnen. Ihr Kopf schlug gegen die steinerne Umfriedung, und sie fiel in die Tiefe.
    Die Raubkatze war abgelenkt, sie hatte nur Augen für ihre Beute. Tobes holte sie ein und warf sich auf sie. Er wollte sie nur noch töten, wollte seinen Dolch bis zum Heft in ihrem Hals vergraben. Doch plötzlich wich sie zur Seite aus und die Klinge stieß ins Leere. Nur seine Linke streifte kurz ihre Mähne. Sofort spürte er das vertraute Ziehen, das jeden Körperwechsel begleitete. Im nächsten Augenblick steckte er im Pelz des Löwen.
    Sein eigenes Gesicht, das er so oft im Spiegel gesehen hatte, grinste ihn an.
    Unbändiger Zorn packte ihn. Der erste Tausch raubte einem gewöhnlich die Besinnung, aber dieser eiskalte Killer war nicht einmal benommen. Er hatte offenbar Erfahrung mit Swappern. Ein tiefes Grollen entstieg Tobes’ Löwenrachen. Er stürzte sich auf den Mörder seiner Frau. Dass er mit ihm auch den eigenen Körper töten musste, war ihm egal, jetzt, wo er Salome verloren hatte.
    Als seine Krallen den Leib von Tobes Pratt zerrissen, hallte plötzlich ein Schuss durch den Innenhof. Eine gewaltige Faust, so schien es, schleuderte ihn zur Seite. Er spürte ein Feuer in der Brust, das gierig sein Herz verzehrte. Als es aufhörte zu schlagen, sah er vor seinem inneren Auge ein Bild aus seiner Erinnerung: Salome, wie sie müde und glücklich ihr neugeborenes Kind an sich drückte.
    Du musst
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