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Die Marseille-Connection

Die Marseille-Connection

Titel: Die Marseille-Connection
Autoren: Massimo Carlotto
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Witali, sie gehörten zur selben Generation von Mafiosi, die sich nach den Machtkämpfen von 2005 Sankt Petersburg unter den Nagel gerissen hatten. Die einen hatten an der Jagd in Prypjat teilgenommen, gekleidet wie reiche Engländer, die anderen hatte er nie zuvor gesehen. Sie tranken, rauchten, aßen Sandwiches und unterhielten sich lautstark über Banalitäten. Sosim würdigten sie erst eines Blickes, als Witali aufstand und zu ihm hinging, um ihn zur Begrüßung zu umarmen.
    »Da wäre also unser Sosim, der uns erklären wird, wie wir noch reicher werden können.«
    Aus Respekt vor der Etikette musste Katajew aber zunächst der Einladung des Pachan folgend an der Unterhaltung teilnehmen. Er beschränkte sich auf eine halbe Tasse Tee und lauschte mit geheucheltem Interesse den Anekdoten und dem Klatsch der alten Halsabschneider. Sosim beobachtete sie und verbarg seine Verachtung hinter einem wohlerzogenen Lächeln. In seinen Augen waren sie tätowierte Höhlenmenschen, von der Geschichte längst überholt. Sogar Hollywoodhatte schon mit enormer Effizienz von ihnen erzählt, und statt schnellstens Deckung zu suchen, hatten sie sich geehrt gefühlt und festlich begangene Privatvorstellungen organisiert. In London hatte er eine Fotoausstellung von russischen Mafiatätowierungen gesehen und diese Bilder betrachtet, als gehörten sie zu einer alten, bösen Kultur. Er fand sie sentimental. Gespenstisch sentimental. Dank Gewalt und Korruption und einem zähen Überlebenstrieb hatten sie im neuen Russland Wurzeln schlagen und an die Schaltstellen von Politik und Wirtschaft gelangen können. Genau wie ihre Kollegen überall auf der Welt. Sosim hasste sie mit jeder Faser seines Herzens, und die Verstellung fiel ihm täglich schwerer.
    Der Pachan war überzeugt, dass Sosim ihm unendlich dankbar war und er sich auf ihn verlassen konnte wie auf ein treues Hündchen. Witali setzte große Hoffnungen in ihn und sah in ihm gewissermaßen das Verbindungsglied zwischen Tradition und Moderne, seit er sein Talent für Finanzdinge erkannt hatte. Ihm war schon seit einiger Zeit klar, dass seine Brigade in Vergleich zu anderen im Rückstand war und Geschäfte auf höchster Ebene nicht von tätowierten Händen abgeschlossen werden konnten. Ebenso durfte er sich nicht weiter nur auf Leute stützen, die mit Korruption oder Erpressung oder durch gefährliche Allianzen groß geworden waren. Die Organisatsia musste in ihrem Inneren respektable Bürger heranziehen, wohlausgebildet und effizient, bereit zum Einsatz ihren Kompetenzen gemäß. Sosim war das erste diesbezügliche Experiment, von den anderen Bossen misstrauisch beäugt.
    Jetzt schnaubte Wiyia Nikitin, Sosims deutlichster Widersacher, ungeduldig. »So, jetzt lass mal deine Wundermärchen hören, Junge.«
    Sosim blickte zu Witali hinüber, der mit einem Nicken seine Zustimmung gab.
    »Wir wissen alle, dass wir Probleme damit haben, unser Geld zu waschen. In Russland können wir es nicht reinvestieren, und so verlieren wir bislang zehn bis zwanzig Cent pro gewaschenem Dollar«, begann er seine Erklärung in selbstsicherem Tonfall, während er Fotokopien verteilte. »Gemäß einer präzisen Anweisung des Pachan habe ich einen Plan ausgearbeitet, um dieser Situation zu begegnen und unsere Mittel optimal zu reinvestieren.«
    » Unsere Mittel, unser Geld …«, unterbrach ihn ungnädig Igor, in ganz St. Petersburg dafür berühmt, dass er mehrere Züge mit Material der Roten Armee kassiert hatte. »Der redet, als hätte er etwas dafür getan, es zu verdienen.«
    Sosim Katajew unterbrach seinen Bericht und wartete Witalis Reaktion ab, die sogleich erfolgte: »Wenn Sosim unser Kapital schützt und vermehrt, gehört das Geld auch ihm, wie allen Mitgliedern der Brigade.«
    »Fakt ist, der Junge gehört nicht zu uns, und dass sein Onkel es tat, ändert daran nichts«, meinte einer, den die anderen Potap nannten. »Es passt mir nicht, ihm zuhören zu müssen, als ob er uns etwas beizubringen hätte.«
    Sosim begriff, dass jetzt der Moment gekommen war, seine eigene Meinung beizutragen.
    »Ich bin nicht so angesehen wie ihr und auch nicht so mutig«, gab er zu. »Ich bin nur ein Wirtschaftsexperte im Dienst unseres Pachan , der mich, wie ihr wisst, vor Jahren zum Studieren ins Ausland geschickt hat. Ich habe all meine Zeit dem Ziel gewidmet, mich der Brigade nützlich machen zu können, und jetzt bin ich hier, um meine Dankbarkeit und Treue zu beweisen. Dem Pachan und euch allen. Auch im
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