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Die Marseille-Connection

Die Marseille-Connection

Titel: Die Marseille-Connection
Autoren: Massimo Carlotto
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umhergingen, sah Katajew, wie sie in die Klassenzimmer eindrangen, indem sie die Türen mit Fußtritten aufstießen, genau wie bei Polizeieinsätzen. Siegaben sich gegenseitig Deckung, als wären die Wölfe bewaffnet. Im vergeblichen Versuch, sich einen Fluchtweg zu bahnen, sprang ein Weibchen an eine Fensterscheibe, wurde aber von einem Dutzend Schüsse getroffen.
    Aus der Lehrertoilette sprang ein Männchen einem der Jäger auf die Schultern, doch der Nebenstehende jagte ihm sofort ein paar Kugeln in den Schädel.
    Noch für rund zehn Minuten ertönten Schüsse, Rufe und Gelächter. Der letzte überlebende Wolf erklomm mit wenigen Sätzen die Treppe und gelangte aufs Dach, von dem er auf der Suche nach einem Fluchtweg hinuntersah. Sein Blick begegnete Katajews. Für einen langen Moment verharrten sie so und sahen einander an, dann setzte sich das Tier auf die Hinterbeine und erwartete den Tod. Die keuchenden Jäger hielten in zehn Metern Distanz inne. Der erste Schuss war das Privileg des Pachan , der das Ziel diesmal nicht verfehlte. Der Aufprall der Projektile schleuderte das Tier vom Dach hinunter. Die Fahrer klagten, wegen der Schüsse sei das Fell jetzt unbrauchbar. Warme Kappen und Handschuhe, die man im bevorstehenden Winter gut hätte gebrauchen können – alles verdorben.
    Witali Saytsew kam aus dem Gebäude und trat zu Katajew. Mit dem Kinn deutete er auf den vom Dach gefallenen Leichnam. »Früher waren sie groß und majestätisch. Jetzt sind sie klein und hässlich. Und frech.«
    »Sie haben sich dieser Hölle hier angepasst, um zu überleben«, entgegnete Katajew.
    »Genau wie wir. Wir haben die Kommunisten überlebt, und jetzt werden wir in der Demokratie reich. Unsere Hölle ist überstanden, Sosim.«
    Katajew dachte, davon seien allerdings auch die Wölfeüberzeugt, aber er hütete sich, seinem Boss zu widersprechen, und wechselte das Thema. »Ich habe ein Treffen mit diesen Beamten, von denen ich dir erzählt habe. Es tut mir leid, diese schöne Jagdpartie zu verlassen, aber …«
    Witali lachte und schlug ihm auf die Schulter. »Geh ruhig, und mir gegenüber brauchst du auch nicht so zu tun, als würde dir das hier Spaß machen. Ich weiß ja, dass du nur ans Geschäft denkst.«
    Der Pachan ging ein paar Schritte von ihm weg, dann drehte er sich um. »Pass auf mit den Beamten, früher haben sie zum Parteiapparat gehört, denen ist nicht zu trauen.«
    Sosim nickte, und Saytsew lief zu den anderen Jägern, die schon auf ihn warteten, um sich neben den aufgereihten blutigen Kadavern der Wölfe fotografisch verewigen zu lassen. Sie umarmten sich brüderlich, einige schoben den Jackenärmel hoch und gaben mit Tätowierungen auf dem Unterarm an, auf die sie besonders stolz waren.
    Keiner forderte Sosim auf, sich dazuzustellen. Er war keiner der Ihren.
    Rund eine halbe Stunde später bog Katajew an Bord eines UAZ Patriot mit UN-Wappen in den Wald ein und fuhr auf ein Gelände zu, wo im großen Stil abgeholzt wurde. Unter den aufmerksamen Blicken russischer Aufseher fällten tadschikische Waldarbeiter – sie wirkten für seine Begriffe zu schmutzig und abgerissen – die Bäume mit großen Motorsägen. Die grob entasteten Stämme wurden dann von Greifbaggern auf die Ladeflächen von Schwerlastern gehoben. Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl war das kontaminierte Holz in Gräben gelagert worden, mit dem einzigen Effekt, das Grundwasser weiter zu verseuchen. Noch ein Fehler. Der x-te. Alleswar falsch gelaufen. Vor dem Unfall und danach genauso. Wegen Gleichgültigkeit, Ineffizienz, Dummheit und Korruption. Jetzt wurde die Abholzung und die Entsorgung der Bäume durch Spezialunternehmen von einem internationalen Projekt finanziert. Das Unternehmen, für das Sosim Katajew arbeitete, hatte den öffentlichen Auftrag ohne Weiteres erhalten.
    Ein Beamter entfaltete eine Landkarte der Gegend und breitete sie auf der Motorhaube des Geländewagens aus. Der wohlgekleidete junge Mann wirkte jetzt wie verwandelt. Durchaus nicht mehr gelangweilt gab er präzise Anweisungen, in einem Ton, der keine Widerrede zuließ. Gerade beschwerte er sich über den Gesundheitszustand der tadschikischen Arbeiter.
    »Die Produktion leidet, wenn sie schlecht ernährt und langsam sind«, sagte er. »Wenn ihr sie weiter so offensichtlich ausbeutet, fällt das auf und wir bekommen Probleme. Ich kleine, ihr größere, sehr viel größere.«
    Die Beamten und Vorarbeiter wechselten besorgte Blicke.
    »Das sind Tadschiken«,
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