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Die Marseille-Connection

Die Marseille-Connection

Titel: Die Marseille-Connection
Autoren: Massimo Carlotto
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eigenen Methoden weiterkämpfen. Das war sie ihrer Heimatstadt schuldig.

VIER MONATE SPÄTER
    »Parkinson Court Café, Parkinson Building, University of Leeds.« Ausgesprochen wortkarg für Sunils Verhältnisse. Nur Datum, Uhrzeit und Anfahrt hatte er noch hinzugefügt.
    Inez Theiler hatte keine weiteren Fragen gestellt, sondern landete am angegebenen Tag auf dem Flughafen von Manchester, fuhr mit dem Taxi zum Busbahnhof und bestieg den M34 nach Leeds. Jetzt saß sie da und wärmte sich die Hände an einer Tasse heißer Milch. Seit ihren Tagen als Studentin in dieser Bibliothek hatte sie so etwas nicht mehr getrunken. Sie mochte sie stark gesüßt. Die Wärme gab ihr ein Gefühl von Sicherheit.
    Seit dem Misserfolg von Marseille hatte die kleine Bande von Kindern aus gutem Hause sich bemüht, wieder auf die Beine zu kommen. Banerjee hatte unermüdlich versucht, neue Geschäfte aufzutun und aus Frankreich auszulagern, das nun verbranntes Gelände war. Giuseppe und Inez hatten ihn dabei nach Kräften zu unterstützen versucht, doch den Schatz der Organisatsia hatten sie eingesetzt, um Sosims Freiheit zu erkaufen, und das Geschäft mit dem Holz aus Tschernobyl hatten sie dem FSB überlassen müssen. General Worilow war schnell und effizient. Sie hatten ihn unterschätzt.
    Inez war froh gewesen, dass Ulita ausgeschaltet war. Washeißt froh – sie war überglücklich. Diese Frau hatte Sosim wie einen Dildo benutzt, wann immer sie wollte, während sie selbst um ein paar Momente des Zusammenseins hatte betteln müssen.
    Banerjee hatte ihr versprochen, dass ihr schöner Russe in Sicherheit war und es ihm gut ging. Dann hatte er sie geneckt, weil sie ihre Beziehung geheim zu halten versucht hatten. Inez war rot geworden und hatte das Thema gewechselt. Sie war nicht mehr so sicher, dass sie weiterhin einen Traum lieben wollte. Sie brauchte eine normale Liebe, eine, die im Alltag ihren Platz hatte.
    Überhaupt fühlte sie sich schwach und untauglich, wenn sie an diese Dinge dachte. Sie waren so weit entfernt von allem, was ihr Idealbild von der Dromos Gang verkörperte, dass es ihr vorkam, als würde sie ihre Freunde verraten. Und in der Tat, mit Sosim Schluss zu machen würde bedeuten, aus der Bande auszutreten und deren Auflösung zu erklären.
    Vielleicht war das sogar das Beste, und niemand würde darunter leiden. Sie waren ja alle schon reich. Sunil hatte ihr berichtet, wie es in Marseille schiefgelaufen war. Sosim war gefangen genommen und beinahe gefoltert worden. Sie, die sich für die Speerspitze des modernen Verbrechens hielten, waren tief gefallen, tiefer ging es nicht.
    Als plötzlich ein Fremder ihr gegenüber Platz nahm, erschrak sie, obwohl sein müdes Lächeln sie wohl beruhigen sollte.
    »Guten Tag, mein Name ist Kevin Finnerty«, stellte er sich vor. »Ich bin Amerikaner. Aus Boston, um genau zu sein.«
    Sie erkannte ihn nur an seiner Stimme und den Händen. »Mein Gott, Sosim, was hast du getan?«, flüsterte sie, die Hand vor den Mund geschlagen.
    »Ich bin Kevin Finnerty«, wiederholte er mit brechender Stimme. Er hatte drei große Operationen und eine lange, schmerzhafte Genesung hinter sich, während derer er sich immer wieder gefragt hatte, wie Inez auf seine Verwandlung reagieren würde. Als er sich zum ersten Mal im Spiegel sah, hatte er mit sich selbst gewettet, dass sie ihn nicht wiedererkennen würde. Und in der Tat, da saß sie vor ihm, die Augen geweitet in dem Entsetzen, einen Fremden vor sich zu haben. Keinen hässlichen Mann. Aber einen anderen. Wangenknochen, Kinn, Nase – Bonaguidi hatte ganze Arbeit geleistet.
    Der Mann, der einst Sosim geheißen hatte, dann Aleksandr und jetzt Kevin, stand auf und ging Richtung Ausgang. Er wollte schreien, dass er sie liebte, wollte sie umarmen, aber es hätte zu nichts geführt. Er kam sich lächerlich vor.
    Sunil hatte ihn gewohnt nassforsch auf die Eventualitäten vorbereitet: »Vielleicht tut sich Inez ja nun endlich mit mir zusammen.«
    Jetzt würde er nach London zurückkehren, in sein neues Versteck, und Zeit und Leben würden die Wunden heilen.
    Er spürte eine Hand an seinem Arm. Inez. Außer Atem. »Geh nicht so weg.«
    »Was sollte ich sonst tun«, rechtfertigte er sich. »Diesmal hätten falsche Papiere nicht genügt.«
    »Ich weiß, entschuldige bitte. Ich hätte nicht so reagieren sollen.«
    »Doch, das war ganz richtig. So war wenigstens alles sofort klar.«
    »Was meinst du damit?«
    »Nichts. Leb wohl.«
    Inez packte ihn am
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