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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau
Autoren: Wilken Constanze
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nestelte an ihrer Kappe, unter der sie dichte lange Haare verbarg, und half Giuffredo, den Wagen durch das Tor zu lotsen. Seit Pietros Unfall vor fünf Jahren trat sie in der Werkstatt als Junge auf, und bisher hatte sich niemand daran gestört, denn sie arbeitete besser als die meisten Gesellen, auch wenn sie den Männern physisch unterlegen war. Ihre Entwürfe waren originell, und sie hatte ein sicheres Stilempfinden, was ihr bei der Zusammenstellung der Stuckelemente zugute kam. Erst heute Morgen war sie von Signor Piccolominis Verwalter für ihren Entwurf zur Gestaltung der Gesimse gelobt worden. Natürlich wusste der Mann nicht, dass er einer Frau zugehört hatte, denn in einer Stukkadorwerkstatt hatten Frauen nichts verloren. Armer Pietro, aber ohne seinen Unfall hätte man ihr nie erlaubt zu helfen, und jetzt gehörte sie genauso zur Werkstatt wie Giuffredo und die anderen Gesellen und Lehrlinge. Sie entdeckte ihren Bruder im Eingang zur Werkstatt, wo er auf seinen Stock gestützt stand und die Arbeit überwachte. »Pietro! Sieh nur, Giuffredo hat die neue Lieferung gebracht.«
    Pietro war mit knapp dreißig Jahren der älteste der Paserini-Geschwister, zu denen neben Luisa ihr Lieblingsbruder Armido, der zurzeit in Rom weilte, sowie zwei weitere Schwestern zählten. Simonetta war seit fünf Jahren mit Tomaso, dem leitenden Bildhauer der Werkstatt, verheiratet und hatte vor einem Monat ihr drittes Kind zur Welt gebracht. In wenigen Wochen würde auch Francesca niederkommen, die ihr erstes Kind erwartete. Mit der nur ein Jahr
älteren Francesca hatte Luisa sich nie verstanden und war froh, dass diese einen Schriftgießer in Florenz geehelicht hatte. Solange Luisa denken konnte, war Pietro das Oberhaupt der Familie gewesen, denn ihre Eltern waren vor vielen Jahren bei einem Fuhrwerkunfall ums Leben gekommen. Pietro hatte die Werkstatt geleitet und mit seiner Fröhlichkeit und Tatkraft alle mitgerissen, doch der Unfall hatte alles verändert. In einem Moment der Unachtsamkeit war er auf der Baustelle des Palazzo Petrucci vom Gerüst gestürzt und hatte sich zahlreiche Knochenbrüche im linken Bein, der Schulter und den Händen zugezogen. Wochenlang hatten ihn die Verletzungen ans Bett gefesselt, und niemand hatte geglaubt, dass er überleben würde.
    Wenn Luisa ihn manchmal ansah, fragte sie sich, ob er es bedauerte, dass der Sturz nicht tödlich verlaufen war. Pietro war ein Krüppel, der sich mit seinem Gehstock mühsam durch die Werkstatt schleppte und dessen linke Hand nahezu gebrauchsunfähig war. Doch wenn er sie anlächelte, während sie zeichnete, und sie für die gelungene Ausführung eines Entwurfs lobte, dann schämte sie sich ihrer Gedanken. Pietro war die Seele der Werkstatt, und alle respektierten ihn, selbst der arrogante Tomaso zollte ihm Achtung für seine Fachkenntnisse.
    »Ah, sehr schön …« Pietro hielt inne und sah nicht auf sie oder den Karren, sondern auf etwas hinter ihr.
    Luisa drehte sich um. Ihr Herz machte einen Satz. »Armido!«
    Ein großer dunkelhaariger Mann, dem die Ähnlichkeit mit seiner Schwester und Pietro ins Gesicht geschrieben stand, trat in den Hof.
    »Luisa! Ich hätte gedacht, dass du langsam zu alt für diese Maskerade wirst.« Liebevoll drückte er Luisa an sich, die sich in seine Arme geworfen hatte.

    »Dass du zurück bist! Warum hast du nicht geschrieben? Schau dich nur an, Armido, ein großer Herr bist du!« Sie zupfte an seinem Hemd, das aus gutem Leinen gefertigt war, und auch seine Lederstiefel waren solide gearbeitet. »Wie ist Rom, groß und herrlich, nicht wahr? Giuffredo, das ist mein Bruder, Signor Armido, der mit maestro Michelangelo gearbeitet hat!«
    Ergriffen neigte Giuffredo den Kopf. »Signore, es ist mir eine Ehre. Ich kümmere mich um die Ladung.«
    Armido schulterte seinen Lederbeutel und legte seiner Schwester den Arm um die Schultern. Die Ähnlichkeit war unverkennbar, beide hatten gerade geschnittene Nasen und einen schön geschwungenen Mund in einem ovalen Gesicht.
    Gemeinsam gingen sie über den Hof, in dessen Mitte der Ochsenkarren von mehreren Männern entladen wurde. Überall lagen Bretter und Steine. Kisten mit Kalksand und Tonkrüge mit verschiedenen Flüssigkeiten standen an den Wänden neben halbfertigen Gesimsteilen, Gussformen und Arbeitstischen, an denen gesägt und gehämmert wurde.
    Armido fragte leise: »Wie geht es ihm?«
    »Er wird noch oft von Schmerzen geplagt, auch wenn er es nicht zugibt, und er hasst es, wenn ihm Dinge
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