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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer
Autoren: Burkhard Driest
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übergeben.«
    Ich nickte und machte ein elendes Gesicht.
    »Ich denke, das kriegen wir hin. Gehen Sie in die Wäschestube und bügeln Sie vom Leutnant die Wäsche. Die braucht er. Und du?«, fragte sie mich.
    »Ich bin im Kuhstall.«
    »Gut.« Sie lächelte. »Dann renn mal schnell hin, dir wird schon nichts passieren.«
    Ich rannte los. Das letzte Wort »passieren« war wie ein Peitschenknall. Ich war gespannt, was »passieren« würde.
    Auf der Freitreppe nahm ich zwei Stufen zugleich. Der Brunnen sprudelte nicht mehr, alles wirkte trüb. Zwar liefen Hühner und Gänse herum, doch früher wären sie nicht einfach herumgelaufen, sie hatten ihre Hühnerwiese, die eingezäunt war. Selbst die fünfhundert Gänse hatten Maria Aretz als Hirtin. Jetzt waren es vielleicht noch fünfzig, und sie watschelten überall herum. Meine Mutter meinte, sie warteten auf die Polen, die nachts kamen und ihnen die Hälse umdrehten.
    Mittags hatte ich eine Arbeitspause, in der ich in der Kornscheune nach Eiern suchte. Fünf Stück fand ich. Als abends die Kühe gemolken waren, gab mir Oskar Franke eine Kanne und ließ mich meine Milchzuteilung mit nach Hause nehmen. Vorher war ich noch im Backhaus gewesen, weil wieder gebacken wurde, und hatte bei Otto Buns ein halbes Brot geschnorrt. Glücklich, meinen Vater mit all diesen guten Dingen überraschen zu können, lief ich um den Park herum, sodass ich von hinten ins Herrenhaus gelangte und ungesehen den zweiten Stock erreichte.
    Kaum hatte ich die Bodentür einen Spalt aufgemacht, da hörte ich Dagi laut nach oben rufen: »Da kommt einer!«
    Ehe ich sie für diese Dummheit zurechtweisen konnte, rief sie noch einmal und ebenso laut: »Es ist mein Bruder!«
    Ich wusste, dass mein Vater Hunger hatte und war so scharf auf sein Staunen, sein Lächeln und seinen Dank, dass ich an ihr vorbei sprang.
    Er hatte schon ein Bein im Schrank, um sich zu verstecken. Neben dem Schrank stand ein Stuhl, auf dem er gesessen hatte. In der Hand hielt er ein Buch, und als er nun sah, dass ich es war, kam er mir ein paar Schritte entgegen.
    Ich holte aus meinen Taschen Eier, Brot und Milch.
    Er lächelte. »Danke.«
    Ich blieb noch stehen, stramm, denn vor einem Mann musste man immer stramm stehen. Ein bisschen mehr Anerkennung hatte ich erwartet, wenn auch nicht so viel wie von meiner Mutter. Doch er lobte mich nicht, sondern sagte stattdessen: »Das hast du gut gemeint, Hein Mück, ich will nicht meckern, aber mach das bitte nicht noch mal! Das ist zu gefährlich. Wir haben alle nichts davon, wenn das schiefgeht.«
    Mein Hals war trocken. Mir fiel ein, dass ich neulich ein Hufeisen gefunden hatte. Offenbar aber stimmte nicht, was Tante Kläre immer sagte, ein Hufeisen bringe Glück, genauso wie ein vierblättriges Kleeblatt oder das erste Marienwürmchen im Juni.
    Ich fragte mich, was ich falsch gemacht hatte. Ich war auf dem Wege, meinen Vater in Gefahr zu bringen, vielleicht sogar meine ganze Familie und hatte ihm doch nur etwas zu essen bringen wollen. Oder war es mir gar nicht darum gegangen? Wollte ich nur ein Abenteuer erleben und ein Lob kassieren?
    Meine Mutter brachte Salz und Zucker mit. Papa streute sich Salz auf das Brot und mir ganz dünn Zucker. Dagi wollte auch Zucker, und meine Mutter nahm Salz. Es war die Ration für die ganze Woche, aber Papa meinte, das müsse nur noch für zwei Tage reichen, dann würde er uns holen.
     
    Nachts verschwand er. Die nächsten zwei Tage fühlte ich mich wie gelähmt. Ich hatte große Angst um ihn, aber auch um uns. Ich wusste nicht, was er vorhatte und warum er uns holen wollte und wohin. Als ich meine Mutter fragte, sagte sie: »Wenn ihr nichts wisst, könnt ihr auch nichts verplappern.«
    Sie hatte ein Geheimnis, das sie mit mir nicht teilte, weil sie mir nicht traute. Das machte mich traurig. Natürlich verstand ich ihren Beweggrund, doch alles, was uns verband, machte mich glücklich.
    Bevor ich einschlief, dachte ich die ganze Zeit an Tante Kläre, die mit Tante Eva und Onkel Otto im Auto irgendwohin in den Westen gefahren war und an den kleinen Prinzen, der Tante Kläre in meiner Fantasie begleitete.
    Dann kam die Nacht, in der mein Vater uns abholen wollte. Meine Mutter brachte uns zu Bett und riet uns zu schlafen, damit wir später nicht zu müde wären.
    »Wir müssen doch aufpassen, wenn er kommt«, sagte ich.
    »Das mache ich. Ich wecke euch dann.«
    Dagi machte großes Theater, weil sie nicht alleine schlafen wollte, aber meine Mutter gab nicht
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