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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer
Autoren: Burkhard Driest
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konnten. Wenn sich das Rein-Sollen und das Nicht-Rein-Wollen zu einer zu großen Spannung steigerten, wachte ich auf.

24. KAPITEL
    S
    o ging es mir auch in der Nacht zu meinem Geburtstag, und ich überlegte, ob ich Schäfchen zählen sollte. Ich wusste nicht, ob es schon späte Nacht war oder auf den Morgen zuging. Spät in der Nacht wollte ich keine Schäfchen mehr zählen, das lohnte sich nicht. Ich versuchte, an den Geräuschen draußen festzustellen, wie spät es sein könnte, als ich ein Knarren hörte. Mein erster Gedanke war: Schritte, die die Treppe heraufkamen. So knarrte es und machte mir Angst. Die Angst ließ meine Ohren so heftig glühen und rauschen, dass ich mir dann doch nicht sicher war, ob ich mich täuschte. Der Gedanke, die Russen würden irgendwann unseren Unterschlupf entdecken, lauerte in meinen Gehirnwindungen. Natürlich hätte ich aufspringen und mich zur Treppe schleichen können, doch davon hielt mich die Kälte ab. Bei einem Fehlalarm hätte ich in der eisigen Nachtluft unnötig herumgeschlottert.
    In Wahrheit war es nicht so sehr die Kälte, sondern die Furcht, die mich ganz steif machte, und selbst wenn ich meine Mutter hätte wecken wollen, wäre mir das nicht möglich gewesen. Ich war vollkommen gelähmt.
    Es waren Schritte, daran bestand für mich kein Zweifel, und ich konnte die Wahrnehmung, dass sie leise und schnell die Stufen heraufkamen, nicht verdrängen. Mein Entsetzen wuchs, als ich realisierte, dass sie sich auf unsere Kammer zu bewegten und schon da waren, bevor ich noch einmal Luft holen konnte. Vielleicht aber war meine Panik so groß, weil ich vergessen hatte zu atmen, denn just in dem Augenblick, als der Unheimliche in der offenen Tür stand, wurde mir schwindlig. Es war keine akustische Täuschung, so sehr ich mir das auch gewünscht hätte, denn der schwarze Schatten war mit einem Licht gekommen, einer Taschenlampe, die er unter einem Tuch verbarg. An der Unterseite ließ das Tuch einen Spalt frei, durch den ein schmaler Strahl auf seine Soldatenstiefel fiel. Vielleicht war es auch der Anblick dieser Stiefel, der den Schwindel auslöste. Dennoch konnte ich wahrnehmen, dass der trübe Schein der Lampe zum Bett meiner Mutter wanderte. Dann kam er zu mir, sodass ich schnell die Augen zusammenkniff. Alles wirbelte herum, während ich hörte, wie er zu meiner Mutter ins Bett stieg.
    Mein Schwindel und das Rauschen in den Ohren wurden so stark, dass ich die Besinnung verlor.
    Als ich später das Bewusstsein wieder erlangte, hatte ich sofort die Stiefel vor Augen. Nun hatte doch einer dieser betrunkenen und bösartigen Teufel seinen Weg aus dem nächtlichen marodierenden Rudel hier herauf gefunden, bluthungrig und mörderisch. Ich hatte seine Augen nicht sehen können, es war stockfinster gewesen, und die matt aufleuchtende Taschenlampe hatte von ihm selbst nichts preisgegeben, sondern nur das Opfer für ihn gesucht. Würde seine Gier geglüht haben, hätte ich seine Augen erkennen können, in denen das Gleiche lauerte wie in den Augen von Hottes Mörder, der ihm den Mantel genommen hatte. Es wollte hervorspringen und sich auf die Frau werfen, die meine Mutter war. Tief im Schlaf lag sie, zu weit weg, als dass ich sie hätte anstoßen und warnen können. Schreien. Aber meine Kehle war trocken, meine Lippen klebten zusammen. Bislang hatten wir Glück gehabt, aber nun war die Bestie im Raum. Ich kannte den typischen Atem, den schnellen Schritt, die flackernden Augen, die brutal zugreifenden Hände. Wieder verlor ich die Besinnung.
     
    Ohne Träume und wie leblos blieb ich bis zum nächsten Morgen liegen und wurde erst geweckt, als meine Mutter unter meine Decke schlüpfte, mein Gesicht nahm, mich küsste und mir ins Ohr flüsterte: »Es ist dein Geburtstag, Liebling, ich gratuliere dir!« Glücklich streichelte, herzte und küsste sie mich und raunte mir zu: »Papi ist gekommen.«
    Erschreckt dachte ich an den Russen von heute Nacht. Er würde Verstärkung holen und meinen Vater erschießen lassen.
    »Wo ist er?«, flüsterte ich ängstlich.
    Sie sah mich lächelnd an und streichelte mein Haar. »Er liegt in meinem Bett. Er schläft noch.«
    »Und wo ist der Russe?«
    »Welcher Russe?«
    »Von heute Nacht.«
    »Heute Nacht war kein Russe da. Heute Nacht ist Papi gekommen. Er hat uns gefunden. Er hat alle gefragt, bis er jemand getroffen hat, der ihm gesagt hat, wo wir sind.«
    Immer noch steckte der Schreck von heute Nacht in mir, und ich wagte nicht hinüberzuschauen.
    »Es
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