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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer
Autoren: Burkhard Driest
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der Himmel voller Sterne auf. Es war Anfang Mai und die erste warme Nacht.
    »Trödel nicht«, flüsterte Mami, und in dem Augenblick leuchtete am Himmel eine Sternschnuppe auf. Ich fasste Mamis Arm, sie sah sie auch, und wir beide wünschten uns was. Ich wünschte mir, sie nie zu verlieren.
    Niemals vergaßen wir diesen schönen Moment. Immer wieder erzählten wir ihn uns später.
    Als wir einen kleinen Bach durchwatet hatten, blieb der Soldat stehen und sagte, wir seien jetzt drüben, von hier aus könnten wir alleine weitergehen.
    Mein Vater fasste in die Hosentasche, holte eine Uhr und eine Kette heraus und gab sie ihm. Der Soldat nahm sie und war im nächsten Moment verschwunden.
    »Kommt dicht hinter mir her«, sagte mein Vater und ging voran.
     
    Am 9. Mai 1945 um 00.01 Uhr MEZ trat die deutsche Kapitulation in Kraft, elf Tage nach meinem sechsten Geburtstag.

EPILOG
    Der letzte Brief Tante Lieschens an meine Mutter:
     
    Naugard, den 11. März 1945
    Liebe Susanne,
    es war gut, dass du dich in letzter Minute mit den Kindern doch noch dem Flüchtlingstreck nach Westen angeschlossen hast. Hoffentlich seid ihr heil über die Oder gekommen und nicht von den Tieffliegern beschossen worden. Wenn du diesen Brief erhältst, wird es einer von euch auf jeden Fall geschafft haben. Also spreche ich euch alle an:
    Liebe Susanne, mein lieber kleiner Prinz, mein liebes Dagi, mit Gott und all meiner guten Kraft hoffe ich, dass Ihr wohlauf seid! Auch zuversichtlich und stark genug, um ein neues Leben zu beginnen. Ihr wart die Menschen, die mir am nächsten standen, und ich habe euch immer geliebt und werde euch bis zu meinem letzten Atemzug lieben.
    Nachdem Ihr weg seid, hat sich hier Schreckliches abgespielt. Selbst ich bin ein Opfer dieser fürchterlichen Welt geworden und werde morgen freiwillig gehen.
    Ich bin alleine hier im Haus, von dem nur noch die Hälfte steht. Wie ihr wisst, war Dorothea Schattner sehr verzweifelt darüber, dass Pauli sich dem Volkssturm angeschlossen hatte. Einen Tag nach eurer Abreise kam er wieder und lief direkt einem russischen Vorkommando in die Hände. Sie haben die ganze Familie Schattner im Hof an die Mauer gestellt und erschossen, nachdem sie alles, was weiblich war, vergewaltigt hatten. So waren sie die Zeugen ihrer Taten los. Seid nicht traurig, es war für die Schattners eine Erlösung.
    Auch wenn ich gehe, meine Seele wird bei euch sein, wo immer ihr euch aufhaltet.
    In Liebe und den schönsten Erinnerungen Eure Tante Lieschen
    P. S. Ich habe keine andere Möglichkeit, als diesen Brief dem Frisör Hermann mitzugeben, der in einer Stunde Richtung Westen türmen will. Ich adressiere ihn an Kläre und die Schröders in der Lüneburger Heide. Wenn es sein soll, wird er euch unbeschädigt erreichen.

 
     
     
    Bei meiner Reise in die Vergangenheit haben mich Fotos, Dokumente und Bücher begleitet, wie:
    Walter Lüdde-Neurath: Regierung Dönitz. Die letzten Tage des Dritten Reiches. Leoni 1980
    Erich Murawski: Die Eroberung Pommerns durch die Rote Armee. Boppard 1969
    Siegard Rost: Meine Heimat Pommern: Erinnerungen an das Land am Meer. München 1994
     
    Mein besonderer Dank gilt Gerhard Kasten (Ein Rittergut im Wandel der Zeit. Erinnerungen an das Pommersche Dorfleben und an die Zeit bis 1957. BoD 2010), ohne dessen liebevolle Schilderungen mir viele Details sicher nicht mehr in den Sinn gekommen wären.
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