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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer
Autoren: Burkhard Driest
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darf niemand erfahren, dass er hier ist«, flüsterte meine Mutter. »Er wird sich verstecken, aber niemand darf es wissen, hörst du?«
    »Dann dürft ihr es Dagi nicht sagen.« Ich war froh, meine Schwester als Blitzableiter zu haben, aber außerdem hatte ich Recht. Von ihr konnte man nicht erwarten, dass sie sich richtig verhalten würde, sie war noch zu klein. Es war mir wichtig, dass die Eltern das begriffen. Sie immer wieder daran zu erinnern, war meine Pflicht.
    Der Gedanke an diese Pflicht oder eine Aufgabe, die ich übernommen hatte, war das Erste, das mir wieder Sicherheit gab. Ja, auf Dagi musste man aufpassen, musste ich aufpassen. Ich! Es war meine Aufgabe!
    »Sie weiß es schon, sie ist bei ihm im Bett.«
    Betroffen schaute ich hinüber, es war schon hell genug. Mein Vater lag auf dem Rücken, ich konnte seinen Kopf sehen, den dunklen Haarkranz, die scharf geschnittene Nase, die vom Bart schattig gezeichneten Wangen und das Kinn. Er war es. Um seinen Hals lag der Arm meiner Schwester, ihr Kopf auf seiner Schulter. Beide schliefen.
    Ich wusste nicht, wie spät es war, denn meine Mutter ging sonst immer im Dunkeln zur Arbeit. »Musst du nicht arbeiten heute?«
    »Ich habe verschlafen. Wir müssen Papi wecken, falls die jemand schicken, der mich holen soll.«
    »Wo will er sich verstecken? Jetzt ist es hell, jetzt kann er nicht mehr weg.« Ich richtete mich auf, um in der Kammer nach einem Versteck für ihn zu schauen. Vor dem Bett lagen seine umgekippten Stiefel und auf der Truhe seine Uniform. »Vielleicht kann er in die Truhe?«
    »Das ist zu gefährlich. Wenn er hier erwischt wird, werden wir alle erschossen. Bis heute Nacht muss er in einen der Bodenschränke. Nachts kann er dann weg. Dagi muss unten auf der Treppe den ganzen Tag Wache halten. Wenn einer kommt, muss sie ihn laut ansprechen, damit Papi das oben hört und sich versteckt.«
    »Das kann ich auch machen.«
    »Nein. Du musst zur Arbeit und ich auch. Wir dürfen nichts tun, was auffällt. Wir müssen jetzt runtergehen und sagen, dass du krank warst heute Morgen, dass du dich erbrochen hast. Du hast irgendwas Falsches gegessen.«
    Als wir uns anzogen, wachte er auf. Ich stellte mich an sein Bett und sagte: »Guten Tag.«
    Er lächelte. »Tach, mein Junge.« Er streckte mir die Hand hin.
    Ich nahm sie und machte einen Diener. Dadurch ruckelte ich an seinem Arm, und Dagi wachte auf. »Wir müssen jetzt zur Arbeit. Dagi muss aufpassen, wenn einer die Treppe heraufkommt, dann muss sie ihn laut ansprechen, damit du es hörst und dich in einem Schrank verstecken kannst!« Es war die wichtigste Information im Moment. Ich sagte es streng und richtete es besonders an die Adresse Dagis. Sie musste sich anziehen und sofort ihren Platz einnehmen, wenn sie ihre Aufgabe richtig machen wollte. Sie sah aber nicht aus, als wenn sie jetzt das Bett verlassen wollte. »Du musst aufstehen!«, sagte ich.
    »Lass mal gut sein, wir machen das schon«, sagte mein Vater, was mich ziemlich ärgerte. Er wusste hier gar nicht Bescheid, wusste nicht einmal, dass ich sogar das Federbett besorgt hatte, unter dem er lag, und wollte schon alles machen und alles bestimmen.
    Ich schaute mich nach meiner Mutter um, sie war schon fertig, ich fasste ihre Hand. »Komm«, sagte ich und wollte sie zur Tür ziehen.
    Sie machte ihre Hand los, trat an das Bett und beugte sich über Papa und Dagi, um sie zu streicheln und zu küssen.
    Das war völlig überflüssig; jeden Moment hätte einer von den Wachsoldaten oder Erich Domke kommen können, um uns zu holen. Außerdem warteten sie im Kuhstall auf mich, und es war schon schlimm genug, dass meine Mutter mich zu spät geweckt hatte. Jetzt durfte man keine Minute mehr verlieren.
     
    Als wir herunterkamen, begegneten wir Leni Bahlow, die aus der Kommandantur kam. Rübezahl wollte sie immer um sich haben und hatte bestimmt, dass sie alles für ihn persönlich zu erledigen hatte. Meine Mutter meinte, das sei ein bitteres Los, weil Rübezahl Tante Lenis Mann, Administrator Bahlow, hatte erschießen lassen. Aber jetzt war sie die mit dem besten Draht zu Rübezahl.
    »Sie sind zu spät,« sagte sie, »die sind schon alle raus aufs Feld.«
    »Wo ist das?«, fragte meine Mutter.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ziemlich weit, hinter dem Hexenbrach, das finden Sie nicht.«
    »Können Sie nicht sagen, dass ich heute in der Küche gebraucht werde und da helfen soll?« Meine Mutter streichelte meinen Kopf. »Er war heute Morgen krank und hat sich
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