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Wächter des Mythos (German Edition)

Wächter des Mythos (German Edition)

Titel: Wächter des Mythos (German Edition)
Autoren: Christoph Saurer
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Prolog
     
    Schmerz und Tränen waren alles, was ihm blieb. Er fühlte, wie Blut in seinen Mund floss, er wollte aufstehen, etwas sagen, doch seine Muskeln verweigerten ihm ihren Dienst.
    An einen Querbalken gefesselt, davor auf dem kalten Stein des Bodens liegend, seine Mönchskutte in Fetzten gerissen und die Haut mit Striemen übersät, kam Ismael wieder zu sich. Er starrte voller Angst und Entsetzten zu der Gestalt des jungen Priesters hinauf, der drohend über ihm stand. Mit großer Kraft versuchten seine gesprungenen Lippen, mühsam seine Worte zu formulieren.
    »Was wollen Sie?«
    »Den Kelch«, antwortete der Priester aus Rom mit kalter Stimme.
    »Aber ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    Erneut sausten die Lederriemen der römischen Geißel auf ihn nieder, zerschnitten seine Haut und hinterließen beim Zurückreißen klaffende Wunden auf seinem gepeinigten Körper.
    »Um Gottes willen, nein !«, schrie Ismael.
    »Nein? Noch erkennst du die Stärke seines Zorns und seines Grimms nicht, wie es der Furcht vor unserem Herrn entspricht. Aber ich bin die Stimme des Herrn, denn ich bin sein höriger Knecht«, beschwor ihn der Priester.
    »Was für einen Kelch, um Gottes willen«, wimmerte Ismael. Er spürte, wie er wieder das Bewusstsein zu verlieren begann. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    »Dann werde ich dein Henker sein, Ketzer ! Ich werde dich ans Kreuz schlagen, mit spitzten langen Nägeln, so wie es in der Bibel steht. Doch zuerst werde ich dich mit dem dornenreichen Draht hier krönen. Was für eine Ehre«, spottete er verächtlich. »Nicht wahr, Bruder ? Ich mache dich damit zum König der Ketzer .«
    »O Herr, lass Gnade walten«, flehte Ismael mit leiser Stimme. »Nicht, um Gottes willen, nein !«, schrie der Mönch erneut auf, als die eisige Hand des Exorzisten ihn erfasste und ihm mit roher Gewalt den Stacheldraht ums Haupt wickelte. Die spitzten Stacheln bohrten sich eine nach der anderen tief in sein geschundenes Fleisch.
    »O Gott, opfere mich nicht«, erflehte Ismael mit versagender Stimme, »nicht deinen dich liebenden Sohn!«
    »Gewiss nicht durch deinen persönlichen Ketzer-Glauben an Gott und unseren Herrn Jesus kannst du errettet werden, sondern nur durch die wahre Passion Christi! Nur das allergrößte Leiden wird dich lehren, welche unendlichen und unerschöpflichen Werte die Heilstat Christi, unseres Herrn, für uns bereithält. Gott wirkt durch mein Werk zum Heil deines ungläubigen Herzens, Bruder . Auf Golgatha ging all der Zorn Gottes auf den Erlöser nieder. Spüre nun auch du seinen erhabenen Zorn.«
    »Aber um Gottes willen, nein !«, schrie Ismael auf.
    Keine Gnade, sein Flehen verhallte ungehört. Er kämpfte gegen die Ohnmacht an, doch ein zähflüssiges Dunkel erfüllte langsam sein Bewusstsein, bis ein letzter Hoffnungsschimmer seine Seele erhellte. Seine ganze Hoffnung richtete sich jetzt darauf, dass dieser Priester niemals bekommen würde, wonach er verlangte. Dann beseelte ihn absolute Stille und absoluter Friede. Es herrschte keine Angst mehr, die ihn erfüllte und ihm zeigte, dass es ihn noch gab.

Kapitel 1
     
    Eine feuchte Brise strich zaghaft über die befestigte Uferböschung des trägen Rheins und kündigte mit heraufziehender Dämmerung einen noch jungen Frühlingstag über der Basler Altstadt an. Das Leben in den alten Stadthäusern war schon längst erwacht, als ein Taxi kurz vor der Rheinbrücke in eine schmale Gasse bog und nach fünfzig Metern am Straßenrand hielt. Der Fahrer stellte nach Schweizer Manier den Motor ab, um seinem Gast Zeit zum Zahlen und Aussteigen zu lassen. Als der Motor verstumme, waren die gedämpften Klänge aus dem Radio im Inneren des Taxis zu hören. Wehmütig wie ein antiker Trauergesang drang die Melodie aus den Boxen und folgte dem Gast auf die Straße. Als dunkler Schatten stand er nun allein neben dem Taxi, denn außer ihm war hier an diesem feuchtgrauen Morgen noch kein anderer Mensch zu sehen.
    Der hochgewachsene sportliche Mann in dunkler Kleidung wandte sich etwas vom Seitenfenster des Taxis ab, damit der Fahrer nicht die Wehmut sah, die diese Melodie in ihm hervorrief. Gabriel Diaz hatte den Kopf kahl rasiert und wirkte nicht nur wegen seines eleganten Regenmantels um Jahre jünger. Es lag vor allem an seiner ruhigen Gelassenheit und den dunklen Augen, denen nichts zu entgehen schien. Achtsam musterte er die Umgebung, als sei alles um ihn herum von großer Bedeutung. Um sicherzugehen, dass er sich in der richtigen
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