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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
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doch nicht Philippas Schuld, daß die Medewitzer ihr Fronrecht geltend machten! Eigentlich konnten die Lippendorfer zufrieden sein: Im Unterschied zu den von Boras blieb ihrem Ort wenigstens Abekke erspart, sie mußten auch keine höheren Sühneabgaben leisten, wie sie nach den Bauernkriegen von anno 1525 so vielen Dörfern und Weilern auferlegt worden waren. Die Frauen verschwanden grußlos in ihren Hütten und schlugen geräuschvoll die Türen hinter sich zu.
    Philippa sah den Bücherkarren erst, als sie die Gasse fast hinter sich gelassen hatte. Er stand ein wenig abseits der hohen Mauer, welche die Katharinenkapelle zum Dorf hin umgab. Bartholomäus erwartete sie ungeduldig. Er war ein großer, gedrungen wirkender Mann. Sein rundliches Gesicht mit den stechenden Augen wurde von einem gewaltigen braunen Bart eingerahmt, der ihm bis auf den Brustkorb reichte. Seine Kleidung, die aus einem angegrauten Leinenkittel, einem blaukarierten Wams mit Lederstreifen und weiten Beinlingen bestand, wirkte schäbig und zu dünn für eine Reise übers Land zu dieser Jahreszeit. Nur seine mit braunem Ziegenfell gepolsterten Schaftstiefel schienen der harten Witterung zu trotzen.
    Voller Unbehagen bemerkte Philippa, wie der fahrende Händler sie von Kopf bis Fuß musterte. Ein paarmal hustete er geräuschvoll und spuckte hinter sich auf den gefrorenen Dorfboden.
    »Lippendorf war auch schon einmal gastlicher, Jungfer von Bora!« Der Händler begrüßte sie mit einem eiligen Kopfnicken.
    »Nun, wenn Euch mein Auftrag ungelegen kam …«
    »Bewahre, nein!« Bartholomäus riß die Augen auf. »Ihr wißt, wie gerne ich Euch beliefere, Jungfer. Aber damals, als Euer Vater noch der heiligen Bruderschaft vorstand, wurden Reisende nicht wie Aussätzige in einen dunklen Winkel verbannt. Das Rittergut darf unsereiner ja schon seit langem nicht mehr betreten! Euer Bruder Sebastian mag nichts vom Druckerhandwerk halten, aber er pflegt eine … nun, sagen wir eindrucksvolle Handschrift.« Vorwurfsvoll schüttelte der Buchhändler seine Hand, als wolle er einen Brotlaib in dünne Scheiben schneiden. Am Himmel zogen sich dunkle Wolken zusammen. Der Wind fuhr durch das dürre Strauchwerk, das der Dorfschlachter statt eines festen Holzzaunes um sein Grundstück gezogen hatte.
    Philippa ahnte, worauf Bartholomäus hinauswollte. Verlegen blickte sie auf ihre Schuhspitzen. Die Bruderschaft der heiligen Katharina hatte in früheren Zeiten Reisende unter ihren Schutz gestellt und sie in der Schenke mit Brot, einem gehörigen Schluck Schwarzbier und einem Schlafplatz versorgt. Sie war zudem für den Schmuck des Altars in der kleinen Kapelle und die kostbare Skulptur der verehrten Heiligen verantwortlich gewesen. Nikolaus von Bora und seine Gemahlin hatten die Bruderschaft Jahr für Jahr mit großzügigen Schenkungen bedacht. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Die mit Blumen und gewundenen Kränzen geschmückten Altäre, die Prozessionen und Heiligenfiguren waren aus Lippendorf verschwunden, als hätte ein heftiger Wirbelwind sie davongetragen. In der Kapelle wurde trotz des Verbots Herzog Georgs des Bärtigen heimlich lutherisch gepredigt, und die Aufgaben der Bruderschaft nahmen im Dorf nunmehr ein fremder Prädikant, dessen neuer Gehilfe und ein Schulmeister aus Grimma wahr.
    »War es Euch möglich, in Leipzig die Grammatik zu besorgen, Meister Bartholomäus?« Philippa wies auffordernd zum Karren des Händlers hinüber. Die meisten seiner Bücher, die unter einer von Wasserflecken verunzierten Lederplane hervorschauten, sahen alt, abgegriffen und zerfleddert aus. Vielen fehlte der Einband. Aber dennoch waren es Bücher und somit für Philippa Schätze, die einst von gelehrten Männern geschrieben und von kundigen Meistern gedruckt worden waren.
    Leise fluchend stakste Bartholomäus durch den Morast zu seinem Karren und schob die Plane zurück. Vom Turm der Kapelle drangen die hohen Töne einer Glocke herüber. Philippa wandte sich verwundert zu dem steinernen Portal mit dem eingelassenen Relief einer hohen, schmalen Frauengestalt um, die ihre Augen demütig geschlossen hatte. Es war zu früh für das Mittagsläuten. Und sonst erklang das Glöckchen nur, wenn im Dorf oder auf dem Rittergut jemand gestorben war.
    »Hier ist Euer Buch, Herrin!« Bartholomäus hielt ihr einige in abgewetztes Leder gepreßte Seiten entgegen. »Sieht unscheinbar aus, doch was Ihr hier in Händen haltet, ist eine seltene Erstausgabe der De rudimentis hebraicis . Der
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