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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
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gelehrte Magister Johannes Reuchlin aus Pforzheim hat die Grammatik verfaßt, nachdem er die Sprache Abrahams beim Juden Loans, dem Leibarzt seiner Majestät, Kaiser Friedrich III. gelernt hat. Gewiß ist Euch bekannt …«
    Das Schlagen der Totenglocke wurde immer lauter und durchdrang auf unangenehme Weise den monotonen Redeschwall, mit dem der fahrende Händler das stark beschädigte Buch anpries. Philippa rümpfte irritiert die Nase. Der modrige Geruch, der von den vergilbten Seiten aufstieg, drehte ihr beinahe den Magen um. Trotzdem: Sie mußte diese Grammatik besitzen; schon so lange wartete sie auf diese seltene Kostbarkeit.
    Fünf harte Silbergroschen. Ein stolzer Preis für ein abgegriffenes altes Buch. Philippa verzog in einem kurzen Anflug von schlechtem Gewissen das Gesicht, knüpfte dann aber ihr grünes Ledertäschchen vom Gürtel. Ihr Vater durfte niemals erfahren, daß sie für ein Buch die Hälfte ihres monatlichen Wirtschaftsgeldes ausgab. Eigentlich hätte sie den Garnhändler bezahlen müssen. Der breite Wandteppich in der Halle mußte dringend ausgebessert werden, denn er trug das Wappen der Familie von Bora, auf das ihr Vater so stolz war. Zwar besaßen die wenigsten Männer ein Auge für Stickereien, aber Roswitha hatte die Löcher und Risse bereits vor Wochen bemerkt, und Abekke von Medewitz würde ohne Zweifel keine drei Minuten dafür brauchen.
    Eilig zählte Philippa fünf kleine Münzen in die offene Hand des Buchhändlers. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf sein bärtiges Gesicht.
    »Habt Ihr vor, Euch noch länger in Lippendorf aufzuhalten, Meister?« fragte Philippa, nachdem sie das Buch des berühmten Humanisten Johannes Reuchlin sorgfältig unter den Falten ihres Umhanges verborgen hatte. Das aufdringliche Schlagen der Glocke hatte aufgehört.
    Bartholomäus zog die Stricke über der Plane wieder fester. »Ihr beliebt zu scherzen, junge Herrin. Könnt Ihr Euch nicht denken, was das hohe Läuten der Glocke zu bedeuten hat? Seit ich Leipzig kurz nach der Messe verließ, hörte ich sie in bald jedem dritten sächsischen Dorf, durch das ich zog.«
    Verwirrt blickte Philippa zum Turm der Kapelle hinüber. Er stand ein wenig abseits, gleich neben der von verdorrten Weinreben überwucherten Grubenmauer. Einige Raben hatten sich auf seiner Spitze niedergelassen, hackten mit ihren scharfen Schnäbeln ins Gebälk oder plusterten behäbig ihr glänzendes, schwarzes Gefieder.
    »Jawohl, Jungfer von Bora. Seht sie Euch nur an, die Geschöpfe der Nacht!« Die Stimme des bärtigen Händlers war nur noch ein beschwörendes Flüstern, seine Lippen berührten beinahe Philippas Ohr. »Sie sind Boten des Schattens, Jungfer. Todesboten.«
    »Wollt Ihr … damit sagen …« Ihre Stimme versagte.
    Bartholomäus nickte düster. »Ganz recht. Eine feine Morgengabe, die Euch die Medewitzer entrichten. Aber es gibt keinen Zweifel: Ihr habt die Pest im Dorf!«
    ***
    Sebastian von Bora bestand darauf, seine Familie mitsamt dem Gesinde im Hof zu versammeln, um der Ankunft seiner Braut und deren Begleiter beizuwohnen. In freudiger Erwartung wies er die Diener an, den Stemmbalken vom breiten Tor zu nehmen, um den Gästen nicht die Seitenpforte zuzumuten, die sonst jeder benutzte, um auf den Hof und zu dem moosgrünen Fachwerkhaus mit seinen verspielten Giebeln und Erkern zu gelangen. Mit energischen Gesten scheuchte der junge von Bora die Männer und Frauen über das mit frischem Stroh bedeckte Pflaster.
    Philippa hatte sich zu ihrem Vater und dessen Leibdiener Golfried gesellt und beobachtete das aufgeregte Treiben ihres Bruders mit unverhohlenem Zorn.
    »Sebastian hat kein Recht, die Mägde derartig anzuschreien, Vater«, bemerkte sie und legte sanft eine Hand auf die Schulter des schmächtigen Mannes neben ihr. Nikolaus von Bora schrak zusammen. Seit dem Pfandtag schien er häufig müde und zerfahren. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, und sein ehedem gepflegter Schnurrbart wies beängstigend viele graue Stellen auf. »Warum will er, daß die Butterfässer vom Hof verschwinden. Lippendorf ist nicht die kurfürstliche Residenz, und Abekke wird in ihrem Leben schon einmal eine Magd beim Butterstampfen gesehen haben!«
    »Euer Vater fühlt sich seit dem Mittagsmahl nicht wohl«, antwortete Golfried in näselndem Tonfall und musterte Philippa mit einem gequälten Blick. Er schien selbst Schmerzen zu haben. Die kreuzförmige Narbe an seiner rechten Hand, die er seit einem Unfall mit einem siedenden
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